Tatsächlich, praktisch alle Mädchen, denen ich im Verlauf der nächsten zwei Stunden mein Vorhaben verkünde, reagieren grundsätzlich begeistert. "Was? Baile in der Mangueira? Nimm mich mit!", höre ich nicht nur einmal. Aber im Endeffekt siegt die Disziplin. Schliesslich muss man Geld verdienen. Ich habe längst wieder auf mein Standardgetränk umgeschwenkt, gleich nach den beiden Espresso folgt Bier, und auch bei mir erkämpft sich die Vernunft die Oberhand. Ich stehe wieder draussen bei einem der beiden ambulanten Getränkeverkäufern. Die grosse Dose eisgekühltes Antarctica (oder SKOL) kriege ich für 2,50 Reais, weniger als die Hälfte von dem, was ich im Balcony für ein kleines Long Neck hinblättern müsste. Der Laden ist heute richtig voll und ich wundere mich, wieviele Gringos sich ausserhalb der Hauptsaison in der Stadt befinden.
Na, und wer kommt denn da? Gessica. Ich hätte es mir denken können, sogar müssen, bin aber überrascht. Und zwar überwiegend negativ, obwohl ich mich auch auf ein Wiedersehen freue. Seltsam – wenn ich heute darüber nachdenke, liegt ihr Arbeitseifer auf der Hand.
Wieder blickt sie schüchtern, zaghaft, wartet erst mal ab, gibt sich dann aber offensichtlich einen Ruck und entschliesst sich doch, zu mir zu kommen, bevor ich den ersten Schritt wagen kann. Sie trägt exakt das gleiche Outfit, wie am Abend zuvor. Gott sei Dank, es wird eine zärtliche Begrüssung. Aber dennoch bleibt die Stimmung irgendwie distanziert, vielleicht nur Einbildung oder sie spürt mein ungerechtfertigtes Unverständnis. Natürlich schlage ich ihr vor, mich in die Mangueira zu begleiten. Sie sagt mir ab, sie müsse Geld verdienen. Daraufhin biete ich ihr 100 Reais plus Spesen. Die zweite Absage folgt auf den Fuss. Für einen Quickie wäre sie bereit, mehr sei nicht drin. Von ihrer Seite kommt kein besseres Gegenangebot, als ich mich nicht begeistert zeige. Mein Bier ist alle und ich lasse sie stehen. Ein Zeichen dafür, dass ich sauer bin, sonst hätte ich sie sicher zu einem Getränk eingeladen, muss ja nicht alkoholisch sein.
Wenige Minuten später, Gessica hat sich wieder draussen direkt vor einem der beiden Eingänge zwischen Terrasse und eigentlicher Bar platziert, wird sie von einem Ausländer angesprochen, ich tippe auf einen Franzosen. Er ist gezielt an sie herangetreten, stand zuvor mit Freunden innerhalb. Das Gespräch dauert keine zwei Minuten, schon ziehen sie gemeinsam fort und steigen in ein Taxi.
Ich konzentriere mich wieder auf meine Idee, bin aber zeitgleich gespannt, wann Gessica sich wieder an den Eingang zum Ködern stellt. Ich finde den Plan mit der Mangueira immer noch gut, aber langsam nur noch theoretisch. Ich habe mittlerweie einiges getrunken und spüre, dass ich langsam müde werde. Es ist immer noch weit vor Mitternacht.
Trotzdem bin ich nach aussen hin gut drauf, das Bier wirkt. Ich führe unzählige Gespräche und muss mich konzentrieren, um auch in den kommenden Tagen den Gesichtern die entsprechenden Namen zuordnen zu können. Wenn ich ehrlich bin, bei den meisten muss ich bereits nach 30 Sekunden nachhaken: "Wie heisst Du noch mal?" Obwohl ich bei mancher Arbeitsbiene das ausgezeichnete Namensgedächtnis bewundere, die grundsätzliche Oberflächlichkeit der Putaria färbt ab. Ich bin eindeutig das männliche Pendant einer Schwutte, trotz aller Romantik ein abgestumpfter Freier.
Gessica kehrt zurück. Aufgrund der Menschenmassen sehe ich nicht, ob sie gemeinsam mit ihrem Kunden zurückkehrte oder ob separat, denn auch ihn entdecke ich. Beide haben sozusagen wieder ihre Ausgangspositionen eingenommen und machen nicht den Eindruck, sich ineinander oder einseitig verliebt zu haben. Gessica steht draussen, er nur wenige Meter von ihr entfernt bei Freunden. Er informiert seine Kumpels ganz offensichtlich über den Verlauf der letzten Dreiviertelstunde, mehr Zeit ist nicht verstrichen.
Gessica wirkt richtig fertig, fast geschockt. Es scheint, als müsse sie sich sammeln. Keine Ahnung, was der Typ mit ihr anstellte oder anstellen wollte. Wirklich, sie steht da, wie ein Häufchen Elend. Bevor ich zwei Vögel mit einem Stein erledigen kann - Befriedigung der Neugier und Schwuttentröster, erhascht sie nun auch mich. Es ist ihr ganz offensichtlich peinlich. Ich kann es nicht genau erkennen, aber ihre Mimik macht allen Anschein, dass auch ein paar Tränchen kullern. Ich will sie sich noch ein paar Minuten ausruhen lassen, dann ansprechen, doch sie kommt mir zuvor und läuft davon. Ich schlendere ihr mit grosszügigem Abstand hinterher, sie bemerkt mich nicht. Es nieselt. An der Ecke an der Nossa Senhora da Copacabana hebt sie beim ersten Omnibus die Hand als Zeichen für den Fahrer anzuhalten, was er auch tut, und sie steigt ein. Mir bleibt keine Chance.