Episode 4.1
Zweimal war George in den vergangenen Tagen in der Bar gewesen, aber hatte Nim dort nicht angetroffen. Nur ihre Schwester, die offensichtlich den Streit mit George um Nims Bar-fine nicht vergessen hatte. Sie sah George böse an und sprach nicht mit ihm. Auch die anderen Mädchen waren einsilbig, sie hatten sicherlich die Order bekommen, nicht mit George zu reden. Seine Fragen nach Nim wurden mit einem schlichten mai ru – weiß nicht – beantwortet, danach war die Konversation meistens beendet.
Er hatte auch das Gefühl gehabt, daß eine unsichtbare Spannung in der Luft lag. Beim ersten Besuch bestellte er einen Drink, um seinen guten Willen zu zeigen und war dann unverrichteter Dinge wieder abgezogen.
Beim zweiten Mal hatte er Wayne in der Bar getroffen. George konnte sich noch gut daran erinnern.
Nach der Arbeit, die er eher unwillig erledigte, obwohl ihm sein Job normalerweise sehr viel Spaß machte, ging er spätnachmittags in Nims Bar.
Wayne saß an der Theke und winkte George zu. Er mußte sich zumindest kurz zu ihm setzen. Er hatte keine andere Wahl, um nicht auf Dauer unhöflich zu wirken.
„Na, George, alte Säule! Alles klar? Was treibt dich her? Check out?“ Wayne lachte schnippisch.
„Was?“ fragte George lahm, während er sich anschickte, sich auf einen Barhocker neben Wayne niederzulassen.
Noch bevor er sich setzte, fragte eines der Bargirls: „What you like some drink?“
Darüber konnte George nur den Kopf schütteln. War es nicht möglich, sich erst einmal in aller Ruhe hinzusetzen, bevor die Bestellung aufgenommen wurde? Er war in einer Bar, und eine Bar war zweifellos zum Trinken da. Aber dennoch konnte er diese Eile der Frauen hinter der Theke nie begreifen. Warum sollte er sich setzen, wenn er nichts wollte.
Wie sehr sehnte er sich in solchen Momenten nach seiner attraktiven Lieblingswirtin zu Hause in den Staaten, die, wenn sie in besonders charmanter Laune war, ihn fragte: „Hast du noch Zeit für einen Drink?“, daraufhin hinter der Bar hervorkam, sich neben ihn setzte und ihn bat, sich noch ein Weilchen mit ihm unterhalten zu dürfen.
Seine Laune verschlechterte sich zusehends, denn Nim war offensichtlich wieder nicht da. Zur Sicherheit überprüfte er sein Telefon. Kein Anruf in Abwesenheit und auch keine SMS von ihr.
Und als ob Nims Abwesenheit und die Frage nach dem Drink, bevor er sich gesetzt hatte, nicht genug gewesen wäre, machte Wayne komische Witze oder wie immer Bemerkungen, die sowieso niemand verstand.
„Check out?“
„Wir sind doch hier nicht im Hotel, Mann!“ entgegnete George unwirsch.
„Na, du bist doch sicherlich hier, weil du eine der Tussis mitnehmen willst“, erklärte Wayne.
„Ach so“, sagte George und fügte hinzu: „Pay bar.“
„Pay bar. Check out. Das ist doch dasselbe“, meinte Wayne und trank einen Schluck Bier.
Wayne war sicherlich ein angenehmer Gesprächspartner, dachte George. Und wußte eine ganze Menge. Aber er lebte wohl in seiner eigenen Welt, in Wayne’s World. Zwar ging er immer damit hausieren, daß er schon vor 1970, während des Vietnamkrieges, das erste Mal in Pattaya gewesen war, aber daß sich seitdem Dinge geändert hatten, und dazu gehörte sicherlich auch die Barsprache, das wollte Wayne wohl nicht so recht einleuchten. Was sein Wissen über Kultur, Religion, Buslinien und Wasserwege in Bangkok anbelangte, war Wayne aber brauchbar, fand George.
„Ich will die hier heute mitnehmen. Noi, komm mal her!“ rief Wayne über die Theke. „Sag mal meinem Kumpel George Guten Tag!“
„Hallo“, hauchte Noi ohne George weiter zu beachten, da auch sie anscheinend Anweisung erhalten hatte, nicht mit George zu reden.
„Nachher check out, nicht wahr, Noi?“ Wayne lachte schallend.
George atmete den Rauch seines Zigarillos tief ein und nahm einen großen Schluck vom bestellten Black Nam. Den hatte er jetzt nötig. Leider war das Glas schon wieder halb leer.
Wayne erzählte etwas von einem antiken Khmer-Tempel in Buriram mit einem derartig seltsamen Namen, daß George ihn sich nicht merken konnte und sofort vergaß. Wayne schien auch weit gereist und alles in Thailand zu kennen. Doch George hörte nur mit halbem Ohr zu. Was interessierten ihn irgendwelche Ruinen in Buriram?
Aus den Augenwinkeln bemerkte George, daß ein Mädchen die Bar betrat. Sie machte einen Wai in Stirnhöhe in Richtung Barschrein und fuhr sich anschließend mit beiden Händen durch die langen Haare. Dann begrüßte sie die grimmig dreinschauende Mamasan und legte ihre Handtasche hinter der Theke ab.
George, der immer noch halbherzig den Erzählungen von Wayne lauschte, der vom Hundertsten ins Tausendste kam und nun von irgendwelchen Resorts in Buriram berichtete, schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Das Mädchen war Nim. Fast hätte er sie nicht erkannt, so grandios sah sie an diesem Tag aus.
Das Mädchen ging auf die Ablage hinter dem Tresen zu und setzte sich.
George wollte gerade freudig: „Hallo Baby“ rufen, als er mit sinkendem Herzen erkannte, daß es nicht Nim war. Die beiden hatten eine ähnliche Figur und die Länge der Haare stimmte auch überein. Hier war wohl der Wunsch Vater des Gedankens gewesen.
„Check bin“, sagte George.
„Nicht so schnell“, sagte Wayne. „Ich muß dir unbedingt noch was Wichtiges erzählen!“
George steckte passend einen Hunderter in den Bin und stand auf. „Das kann warten.“ Über Reiseführer und Buriram hatte er genug gehört.
Nim meldete sich auch am nächsten Tag weder telefonisch noch anderweitig. George konnte sie nicht erreichen, weil ihr Telefon abgeschaltet war.
Es mußte etwas passiert sein, das wurde George mit jedem Tag klarer. Am schlimmsten wäre wohl gewesen, wenn das ihre Art war, mit ihm Schluß zu machen. Noch schlimmer, als damals mit Sara. Aber warum sollte Nim das tun? George schloß diese Möglichkeit kategorisch aus, blieb im Grunde nur noch, daß ihr Ehemann sie so sehr verprügelt hatte, daß sie zu schwach war, um sich bei George zu melden. Vielleicht war dieser Typ nun völlig ausgerastet. Diesen Gedanken ertrug George nicht. Oder lag Nim etwa wieder im Krankenhaus? Er wollte sich in allen Krankenhäusern der Stadt erkundigen.
Im Pattaya Hospital war sie nicht mehr, das hatte er schon überprüft. Sie war am Tag nach ihrer Einlieferung wieder entlassen worden. Der behandelnde Arzt, der George wiedererkannte, hatte gesagt, daß seine Oberschwester ihn aufgefordert hatte, polizeiliche Meldung zu machen, um den Schläger zur Rechenschaft zu ziehen. Sie sei bekannt dafür, daß ihr die Mädchen leid täten, die mit solchen Verletzungen eingeliefert wurden, die offensichtlich nicht von einem Unfall stammten. Miss Apsara sei zwar kein Einzelfall, aber die Oberschwester hätte sich sogar persönlich bis zur Entlassung um diese Patientin gekümmert. Als Arzt im Bereitschaftsdienst der Notaufnahme habe er aber besseres zu tun, als ständig Gutachten für die Polizei zu liefern.
„Und wie denken Sie darüber, Mr. George?“ fragte der Arzt sich vorbeugend und mit einem Anflug von Vertraulichkeit.
George fühlte sich zusehends unbehaglicher. Nicht nur, daß er dann eventuell als Zeuge geladen würde, sondern alleine die Frage des Arztes ließ nichts Gutes erahnen. Wollte er etwa einen Deal vorschlagen?
Mit den Worten: „Ich möchte das lieber mit Nim, äh, Miss Apsara besprechen, ehe Sie etwas unternehmen“, verabschiedete sich George etwas überstürzt.
Die Ansage über die Lautsprecheranlage des Krankenhauses: “Oberschwester Däng bitte zum Bereitschaftsarzt“, hörte er nicht mehr.