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Thailand Gefangen in der Thai Mystik

Iffi

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18 Oktober 2008
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Episode 1.10

Etwas schepperte und klirrte auf dem Boden hinter der Theke. Als George in diese Richtung sah, entdeckte er Nim in der Hocke, die etwas aufsammelte. Sollte etwa...?

Tatsächlich. Mae Thoranie hatte durch den Zug, der sich im Windhauch des Ventilators bewegenden Blumengirlande ihr Gleichgewicht verloren und war heruntergefallen.

Mit den Bruchstücken in ihren zwei hohlen Händen kam Nim mit ernstem Gesicht hinter der Bar hervor, setzte sich neben George und breitete die Scherben auf der Theke aus. George sah mit einem Blick, daß nichts zerbröselt war. Die Erdgöttin und Beschützerin Buddhas war sauber in sechs Teile zerbrochen. Ein Puzzle, das sich eventuell wieder vollständig zusammensetzen ließ.

Nim sah George wie ein Kind an, dessen Lieblingsspielzeug sich in seine Bestandteile aufgelöst hatte. Zum ersten Mal legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm und sprach, ohne daß er sie etwas fragte. George war wie elektrisiert.

„Hör zu. Ich möchte du tust mir Gefallen. Machst du?“

„Klar“

„Du guter Mann. Kein Tourist baba bobo. Du trinkst langsam. Ich sehe weißes Hemd, schwarze Hose, schwarze Schuhe. Sauber. Du clever. Haben gute Fragen und schnell verstehen Antwort. Du auch lustig. Virgo macht nicht Bumm, ha ha. Gut für Frauen. Frauen haben das gerne.“

George bildete sich ein zu verstehen, warum sich Nim vorher alleine mit seinem Namen zufrieden gegeben hatte. Sie verließ sich auf ihre Beobachtungsgabe und beurteilte Männer zusätzlich anhand derer Fragen. Ohne Eitelkeit, so bildete er sich typisch männlich zumindest ein, unterschrieb er jede ihrer Charakterisierungen seiner selbst, denn er hielt sie nicht für übertrieben oder gar Bauchpinselei. Aber was wollte Nim eigentlich von ihm?

„Du nehmen Mae Thoranie nach Hause. Du sie heilen. Du gute Hände. Vielleicht magic. Wenn Mae gesund, mir zurückgeben. Bitte.“

Georges Gedanken überstürzten sich. Das einzige, was wirklich in seinem Hirn hängenblieb, war, daß er Nim wiedersehen würde. Ihre Bitte klang wie eine Verabredung.


George sagte nur: „Versprochen. Die Figur wird wieder wie neu aussehen.“

„Nein, nicht Figur. Mae Thoranie Bib Muay Phom. Sag’ einfach ‘Mae Thoranie.’“

„Mae Thoranie wird wieder wie neu aussehen“, antwortete George wie in Trance.

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Mit einem nicht unbedingt unangenehmen Gefühl mußte er sich eingestehen, daß er sich in dem unbekannten Netz der asiatischen Mystik langsam verhedderte. Fremd zwar, aber auf jeden Fall aufregend.

„Ich muß jetzt gehen. Du versprechen mir helfen.“

Djin djin“, sicherlich, sagte George, gänzlich ohne jegliche Selbstbestimmung reagierend.

Alleine das Wissen, daß er Nim wiedersehen würde, verhinderte eine tiefe Enttäuschung über ihre Ankündigung, ihn jetzt verlassen zu müssen.

„Du küssen meine Stirn wie Unterschrift auf Vertrag.“

Wie hypnotisiert folgte George Nims Aufforderung. Als seine Lippen ihre Stirn berührten, fühlte er sich wie ein Baby, das auf der nackten Haut seiner Mutter dieses unendlich zufriedene Geborgenheitsgefühl empfand, allerdings viel aufregender.

Nim rief einem Bargirl „sai tung“ zu und erhielt eine durchsichtige kleine Plastiktüte. Darin verstaute sie die sechs Teile von Mai Thoranie und steckte sie in die Hemdtasche auf der linken Brustseite von George.

„Dein Herz wird klein machen Schmerz von Mae.“

Nim machte einen Wai, einen angedeuteten Knicks, sagte: “Sehe dich Montag“, und verschwand ohne eine Antwort abzuwarten auf der Straße.

Wayne beobachtete George und schüttelte leicht seinen Kopf. Für ihn war dieser hoffnungslose Fall erledigt. Oder nicht? In der Haut von George wollte er keinesfalls stecken.

Mamasan beobachtete George nun unverhohlen. Der hatte nur einen Wunsch: nach Hause.

„Check bin“.

Auf dem Weg zu seinem Auto nahm er das lebendige Leben in den Straßen und Bars nicht mehr wahr. Als er sich hinter das Steuer setzte, achtete er sorgfältig darauf, daß der Gurt nicht auf den Schatz in seiner Hemdtasche drückte.

Bald überquerte er die Eisenbahnschienen auf der Soi Siam Country, die weiter hinten an einem Wasserreservoir vorbeiführte und zu dem ältesten Golf Platz von Pattaya gleichen Namens, Siam Country Club, führte. Als rechts der chinesische Friedhof auftauchte, wußte er, daß er bald links abbiegen mußte.

Der Security Guard öffnete das Tor zu der Wohnanlage und salutierte. Vor einem schwarzen Eisentor mit Goldfarben verziert, hielt George an, stieg aus, schob das Rolltor zur Seite, fuhr den Wagen unter das Vordach, schloß das Eisentor wieder und öffnete die Eingangstüre.

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Die erste Türe rechts im Flur führte in die Küche. Dort hing ein Zettel: „Bitte immer nach dem Betreten oder Verlassen sofort schließen. Kuß, Rose.“

Als er das Reich seiner Frau betrat, fand er den gleichen Zettel an der Innenseite der Küchentüre und auch auf der Türe zum Eßzimmer. Eine Camping-Liege mit einem Bettuch, einem Kopfkissen und einer leichten Zudecke stand schon vorbereitet mitten im Raum. George wunderte sich darüber, daß seine immer auf äußere Umstände achtende Rose so schlafen konnte. Doch seine Verwunderung hielt nicht lange an, denn im Grunde war es ihm scheißegal, ob sie in der Küche, auf der Veranda, im Badezimmer oder auf dem Dach schlief. George war zu Hause, und seine Frau saß noch dem gemeinnützigen Verein vor. Hoffentlich noch eine ganze Weile länger.

Es war erst zehn Uhr abends. Der erste Freitag in Pattaya seit unendlich langer Zeit, an dem er nicht in irgendeinem Short-Time-Hotel ein süßes Mädel vernascht hatte. Trotzdem war er unendlich ausgefüllt und auch müde. Aber es war diese sonderbare Müdigkeit, die keinen Schlaf versprach. Vorsichtshalber mit einem kalten Chang aus dem Kühlschrank bewaffnet, stieg er die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Natürlich nicht, ohne die Küchentüre hinter sich zu schließen.

Oben angekommen, zog er sich aus. Die Plastiktüte mit den Scherben von Mae Toranie legte er auf den Nachttisch. Die Dusche war zwar erfrischend, änderte aber nichts an seinem Zustand der undefinierbaren Befangenheit in etwas völlig Fremden. Nim. Was machte sie wohl gerade? Wo mußte sie plötzlich hin? George fühlte keine Eifersucht, nur starkes Verlangen nach ihrer Gegenwart. Er vermißte sie. Wollte seine Lippen an ihrer Stirn festsaugen.


Als er auf dem Bett lag, wollte der Schlaf wie befürchtet zunächst nicht kommen. Die Flasche Chang trank er in nur zwei Zügen aus. Ein Gecko schnalzte sechsmal, dann noch einer und noch einer. Mit diesen Geräuschen schlief George schließlich ein. Er träumte von einer Frau, die mit dem Wasser aus ihren nassen Haaren einen Fluß entstehen ließ und ihn aufforderte zu fragen, wie man ein Boot baut...
 
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tongshi

คนต่างดาว
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28 Oktober 2010
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Danke schon mal @Iffi.:daume
Du hast es echt geschafft das mich deine Geschichte mitnimmt, ich bissel eingetaucht bin, als alter Schmökerer auch von Weltliteratur (Hemingway, Garcia-Marquez zB ist so meins )
Besonders gelungen finde ich den Bezug,den Unterbau mit der Thai Mystik.Tolles Thema. Ich glaube das ist sehr gut,auch davon nebenbei einen Hauch Gefühl zu bekommen, um Dinge sensibler,aufmerksmer registrieren zu können die dort,in Thailand, um einen herum so geschehen.
Ich meine damit ,das die Thais zB ,sehr genau registrieren ,wenn wie bei der Weltmeisterschaft ,einige Fußballer den Rasen/Erde mit der Hand berühren und dann die Stirn,bzw sich bekreuzigen.
Freue mich auf die Fortsetzungen.
Wenn ich auch oft mit dir nicht so ganz übereinstimmen kann, aber hier hast du meinen ganzen Respekt.:wink1:daume
 
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Reaktionen: Iffi und Lucky

Iffi

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18 Oktober 2008
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Hallo tongshi, immer wieder schön zu erfahren, dass jemand aufmerksam mitliest. Später wird sich herausstellen, dass die Thai Mystik nicht nur den Unterbau dieser Geschichte bildet, sondern das Fundament ist, auf dem sich die Handlung entwickelt. Ich hoffe, dass ich das Interesse aufrecht erhalten kann.

Danke.
 

Ton

Dukkhamann
Inaktiver Member
13 Dezember 2008
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Thailand
Die Story gefällt mir grundsätzlich und die Idee, die Mystik als Fundament her zu nehmen, ist sehr interessant.

Verzeih mir, wenn ich kritisch bin, aber ich bin vor Dir bessere Qualität gewohnt. Da ist beispielsweise Nims Sprache, die ist nicht authentisch. Und noch etwas hat mich bisher gestört, aber ich kann es noch nicht in Worte umsetzen.
 

Iffi

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18 Oktober 2008
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Salute, Bikkshu,

ja ja, dass mit Nim's Sprache ist so'ne Sache. Sie spricht ja kein Deutsch, sondern gebrochenes Englisch mit George.

Ihr komisches Deutsch ist also ein Kompromiss an die deutschen Leser. Da leidet die Übersetzung natürlich.
 

Iffi

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18 Oktober 2008
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Episode 1.11

„Seit wann gehst du mit der Bierflasche schlafen? Das ganze Schlafzimmer stank wie eine Kneipe“, sagte Rose, als George frisch geduscht am nächsten Morgen die Treppe herunterkam und in Freizeitkleidung die Küche betrat.

„Guten Morgen, Schätzchen“, war das einzige, das George, hunderttausend Mal geübt, entfuhr, bevor er sich am Küchentisch niederließ und zur „Bangkok Post“ griff. Gleich würde die Frage kommen, wie er die Frühstückseier mochte.

„Möchtest du Rührei, Spiegelei oder ein gekochtes Ei?“ fragte seine Frau, ohne sich vom Herd abzuwenden.

Das bliebe das einzige Alternativangebot des Tages. Der Samstag verliefe wie immer. Rose und er würden zusammen frühstücken, ein paar belanglose Worte miteinander wechseln und dann zum Einkaufen ins Big C fahren. Früher trottete George hinter Rose im Supermarkt her und schob sogar den Einkaufswagen. Ihr völlig erratisches Einkaufssystem, welches eigentlich kein System war, ließ seinen Blutdruck eines Tages so weit ansteigen, daß er begann, sich Sorgen um sein Herz zu machen. Manchmal hatte er ein merkwürdiges Stechen in der linken Brusthälfte gefühlt. Vielleicht nur Einbildung, weil er sich so aufgeregt hatte?

„Wie wär’s, Schätzchen, wenn ich mich währenddessen in Ruhe in den Elektronik- oder Buchläden umsehe. Dann hast du deinen Frieden im Supermarkt und brauchst vor allen Dingen nicht auf mich zu warten, wenn ich danach meine Besorgungen in den anderen Geschäften mache. Der Trolly ist ja nicht wirklich schwer zu schieben. Dafür brauchst du keinen Mann. Wir treffen uns danach im Black Canyon Café, und ich helfe dir natürlich wie immer, die Sachen ins Auto zu packen.“

Rose hatte nur genickt. Von da an war George frei und konnte mit den Verkäuferinnen in den anderen Läden schäkern.

An diesem Tag war er allerdings auf der Suche nach ganz bestimmten Dingen. Superkleber und Modellbaufarbe mit entsprechenden Pinseln und einem Kunststoffspachtel, mit dem er die bestimmt sichtbar bleibenden Risse an den Bruchstellen kaschieren konnte. Diese würde er dann mit der Farbe überpinseln.

Mae Thoranie sollte wie neu aussehen.

Außerdem würde er nach einem Buch suchen, in dem er noch näheres über diese Erdgöttin erfahren konnte. Mit seinem angeeigneten Wissen würde er dann Nim überraschen. Aber nicht in einem normalen Gespräch, sondern mit neuen Fragen.

Nach dem Aufstehen hatte er sich vergewissert, daß die Trümmer von Mae Thoranie noch auf dem Nachttisch lagen und hatte sie in der Schublade verstaut. Vorsichtshalber.

Das Wochenende gestaltete sich wie ein altbewährtes Ritual. Nach dem Einkaufen begann Rose mit den Vorbereitungen für ein Brunch (Abkürzung fuer Breakfast-Lunch), ein verspätetes Frühstück kombiniert mit dem Mittagessen, das bis in den Nachmittag hinein dauern würde.

Sie hatte zwei Rentner-Pärchen aus der Nachbarschaft eingeladen. Eines aus den USA und eines aus Kanada. Rose würde nie im Traum einfallen, sich mit gemischten Farang-Thai-Paaren in solch einem kleinen Kreise zu umgeben, denn sie konnte diese „ungebildeten Emporkömmlinge“, wie sie Thai-Ehefrauen von Farangs nannte, nicht ausstehen.

Das gemütliche Beisammensein verlief wie immer. Die männlichen Gäste tranken gerne Bier und mauserten sich nach kurzer Zeit zu absoluten Weiberhelden, was ihre Geschichten betraf.

George hörte nur mit halbem Ohr zu, nickte hier und dort, kicherte manchmal mit oder warf eine Bemerkung in die Runde. Er wollte nicht unhöflich wirken.


Die Ehefrauen unterhielten sich nicht gerade wohlwollend über die nicht anwesenden Nachbarn, wie man am besten in diesen Breitengraden die Küche von Ungeziefer freihielt und wie sehr doch ihre eigene Ehe in dieser für Männer sehr verführerischen Umgebung noch glücklich sei.
 
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Iffi

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18 Oktober 2008
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Episode 1.12

George war froh, als dieses gesellige Zusammensein sein Ende fand. Der Tag war verklungen, es kehrte die sich täglich wiederholende besinnliche Ruhe ein, ehe sich alle Lebewesen mit dem Gedanken an die Nacht abgefunden hatten und ihre Aktivitäten an die dunkle Tageszeit anpaßten. Die Vögel verstummten bei der Suche nach einem Schlafplatz, Zikaden legten eine Pause ein und pflegten ihre Hinterbeine, die durch geräuscherzeugende Reibung tagsüber heißgelaufen waren. Selbst die röhrenden Mopeds schienen für einen Augenblick von den Straßen und Wegen verbannt zu sein.

Georges Frau schnitt auf der Anrichte in der Küche Tomaten und anderes Gemüse zusammen mit Hühnchenfleisch, gebratenem Schinken und Käse in mundgerechte Stücke für ein Nachtmahl. Im Mixer warteten Orangen, Bananen, Mangos und andere exotische Früchte darauf, in einen Fruchtsaft vermust zu werden. Der Toaster spuckte in regelmäßigen Abständen ganz leicht gebräunte Weißbrotschnitten aus.

Im Fernseher, der mit 24 Zoll eine küchengerechte Größe hatte, lief eine Oprah-Winfrey-Show. Ab und zu lief Rose verstohlen eine Träne die Wange herunter. Auch wenn sie keine Zwiebeln schälte und schnitt. Sie sah dann immer besonders zufrieden aus, weil sie ihre Emotionen mit Oprah ausleben konnte. George war für sie nur noch ein Einrichtungsgegenstand, der allerdings gepflegt werden mußte, indem sie seine Wäsche wusch, ihn bekochte und ihn hier und dort zur Ordnung rief, wenn er liederlich Dinge einfach herumliegen ließ.

Rose weigerte sich grundsätzlich, bei dieser Tätigkeit und besonders zu dieser Tageszeit aus dem Küchenfenster in den Vorgarten zu schauen. Denn dort draußen war die von allem möglichen Ungeziefer bevölkerte feindliche Welt Südostasiens, die besonders nachts zum Leben erwachte. Sie bedauerte inzwischen, George nach Thailand begleitet zu haben. Ihr Ehemann hatte einen gutbezahlten Job als Ingenieur in einem globalen Konzern in Map Tha Phut ergattert. Alleine von der Auslandszulage konnten sie gut leben. Das Gehalt zu Hause in Illinois lief unangetastet weiter und füllte allmählich ihr Bankkonto.

Sie wohnten allerdings in Pattaya, Siam Country Road, Ortsteil Nongprue. George, in leitender Stellung, stand eine Housing Allowance von maximal 50.000 Baht pro Monat zu. Dementsprechend luxuriös war ihre Villa mit Garten. Das Haus gehörte einem Deutschen aus Köln, der sich erst ein paar Jahre später in Thailand niederlassen wollte. Genauer gesagt, gehörte es seiner Thai-Frau, die als Eigentümerin im Grundbuch, dem Chanot eingetragen war. Dieser Kölner war froh, daß dieses von ihm bezahlte Haus von „anständigen“ Leuten genutzt wurde. Denn eines war klar. Nichts ging schneller in diesen Breitengraden vor die Hunde, als eine unbewohnte Villa.

Rose spielte nach Einbruch der Dämmerung heile Welt. Die Küche hätte in jedem bürgerlichen amerikanischen Haushalt ähnlich aussehen können. Der riesige Kühlschrank von GE mit Eiswürfelmaschine trug seinen Teil dazu bei. Die rührende Oprah im Fernsehen rundete die Illusion ab. Dann gab es keine störende Exotik. Rose blendete die Außenwelt einfach aus. Denn sie litt. Sie litt unter dem „Kriechzeugs“, wie sie es nannte, in dieser subtropischen Fremde. Den winzigen Ameisen rückte sie mit Spray zu Leibe. Allerdings nur selten.

Sie hielt die Küche klinisch sauber. Kein Krümel, kein Fettfleck oder gar süße Schmiere überlebten ihren Putzfimmel, so daß die Späher der Ameisenvölker unverrichteter Dinge wieder umkehrten und ihr Kollektivgedächtnis sie über Tage gar nicht erst die Richtung in Roses Küche einschlagen ließen.

In den Garten ging Georges Frau nur mit einer Fliegenklatsche an einem besenlangen Stil, die sie vor jedem Schritt auf den Rasen klopfte. Sie hatte einmal gelesen, daß kriechende Tiere sich dann verkrümeln. Besonders Schlangen, Skorpione und Mäuse. Selbst Insekten verlören dann ihre Neugierde, menschliche Füße zu untersuchen.

Letzterem traute sie aber nicht so recht. Deswegen trug sie draußen immer halbhohe Gummistiefel. Bevor sie die anzog, spülte sie diese innen mit heißem Wasser und Seifenlauge aus um jegliche sich dort eventuell heimlich eingenistete Insekten oder noch Schlimmeres zu entfernen und legte sie in der Wohnung mit der Öffnung zum Trocknen vor einen Ventilator, der sich auf Vollstufe drehte. Die Vorbereitungszeit dauerte etwa 30 Minuten. Einfach spontan in den Garten gehen, war ihr fremd.

Sobald es dunkelte, wurde er gänzlich zur No Go Area. Wenn sie einen Djinschock, so nennen die Thais eine hell- und samthäutige völlig harmlose Geckoart, im Hause entdeckte, konnte sie hysterisch werden. Dann trug sie tagelang, egal wie heiß es war, nur enge Jeans. Auch im Bett. Der Gedanke, daß solch ein Tier heimlich unter ihren Rock oder entlang ihrer nackten Beine, nur mit kniefreien Shorts bekleidet, hochklettern könnte, verursachte ihr Alpträume.
 
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Iffi

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18 Oktober 2008
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Episode 1.13

George langweilte sich zu Tode in seinem gemieteten trauten Heim mit Garten, besonders dann, wenn die Dämmerung hereinbrach. Viel lieber säße er jetzt an einer Bierbar. Zu dieser Uhrzeit übernahm die Nachtschicht das Ruder. Die Holden der Dunkelheit waren besser gekleidet, besser geschminkt und überhaupt sehr sexy im Vergleich zur Tagesschicht. Das schmeichelnde künstliche Licht unterstrich diesen Eindruck, wenn auch manchmal trügerisch.

Jeans wichen Minikleidchen oder Röckchen, langweilige T-Shirts engen Tops mit gewagtem Ausschnitt. Latschen wichen hochhackigen Schuhen, die sogar einem faden Wadenmuskel einige Rundungen entlockten und selbst einen schlaffen Oberschenkel wie in einem Fitneß-Studio gestählt aussehen ließen. Bargirls zierten sich nicht mehr oder gaben etwa vor, zu den anständigen und schüchternen Mädchen vom Lande zu gehören, die in ständiger Angst vor Vergewaltigung durch die vielen bezahlenden Gäste lebten und äußerst widerstrebend ihrem Job in einer Bierbar nachgingen.


Sobald die kontrastreichen Farben des späten Nachmittages in unzählige Gelb-, Orange- und Rottöne übergingen, Blau- und Grünschattierungen wie ausgeknipst verschwanden, die Sonne hinter dem Horizont im Golf von Thailand versank und schließlich für etwa 20 Minuten die Tristesse der unscharfen Graustufen herrschte, ging eine Veränderung in den Köpfen der Menschen vor sich. Es schien dann gerade so, als ob sie den Schrecken über die nahende Dunkelheit schweigend verarbeiteten. Diesen Schrecken, den niemand in unserer modernen Welt mehr zugab, aber allen Menschen noch immer in den Genen liegt. Lediglich die animistisch beseelten Einwohner Asiens beugten sich nach wie vor ehrfurchtsvoll der Stunde der Geister, die zu dieser Tageszeit besonders aktiv wurden. Dann hieß es, sich ruhig und unauffällig verhalten, damit man nicht deren Zorn erweckte.

George hatte sich bequem im Wohnzimmer auf seinem Lieblingssessel niedergelassen. Vor ihm, auf dem niedrigen Tisch lagen fein sortiert die Teile von Mae Thoranie. Daneben der Superkleber, der Kunststoffkitt, kleine Farbtöpfe und diverse Utensilien wie Pinsel und Spachtel. Das Puzzle der zerbrochenen Figur war leicht zu lösen. George hatte das Bild dieser Frau mit den langen Haaren noch räumlich vor Augen. Er hatte seine Lesebrille aufgesetzt, damit er die Feinheiten der Bruchstellen besser erkennen konnte.

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Die Dämmerung verwandelte sich schnell in Dunkelheit. Das Licht des Wohnzimmers, welches durch das große Fenster nach draußen fiel, erhellte den Vorgarten mit einem fahlen Zwielicht, ähnlich wie der Vollmond den Waldboden durch das Blätterdach. Rose hatte an Schnüren aufgereihte flache farbige Glasfiguren vor die Scheiben gehängt. Es waren Zierfische, Vögel, Hunde, Katzen, Pferde, Kühe und Schafe. Sie entsprachen der Tierwelt ihrer Heimat und gaben ihr das Gefühl, nicht von diesen schrecklich exotischen Tieren umgeben zu sein, wenn sie aus dem Fenster blickte, wie sie George einmal gestand.

Der hatte schon vier Teile des Puzzles sorgfältig zusammengesetzt, als er zur Entspannung seiner Augen aufblickte und durch das Fenster sah.

Etwas Bleiches schien sich über den Rasen im Vorgarten zu schlängeln. Größer als ein ausgewachsener Schäferhund, aber nicht auf vier Beinen laufend, sondern auf dem Bauch kriechend. Die vier Extremitäten ähnlich wie ein getarnter Soldat beim Anschleichen benutzend. Lichtspiele, war Georges rationale Erklärung. Die lichtbrechenden Glasfiguren an den Fäden mochten ihren Teil dazu beitragen. Seine Phantasie schlug wohl Purzelbäume. George widmete sich wieder seiner Mae Thoranie.

Kurz bevor er das letzte Teil, ein Bruchstück des langen Haarschweifs, ansetzte, blickte George noch einmal auf. Wieder glaubte er eine fast menschliche Erscheinung auf dem Rasen zu erkennen. Alleine das harmonisch und artistisch anmutende Winden des Körpers gab diesem Wesen eine tierische Komponente. Solch ein Gaukelspiel des Lichtes hatte er noch nie erlebt. Daß seine Lesebrille die Weitsicht stören könnte, wurde ihm jetzt erst bewußt. Kopfschüttelnd klebte er das letzte fehlende Stück an die Figur. Sie sah wieder fast perfekt aus. Nur die Nähte der Brüche mußten noch verkittet und übermalt werden.

Zufrieden betrachtete George schließlich sein Werk und stellte sich klopfenden Herzens vor, wie er Nim die „gesunde“ Mae Thoranie bald übergeben würde. George legte seine Lesebrille ab und schaute noch einmal in den Vorgarten. Dort war nichts Außergewöhnliches zu sehen.

George schaltete routinemäßig nach und nach die Außenbeleuchtungen ein. Die beiden kugelförmigen Lampen auf den Betonsäulen der Einfahrt, die Laternen, die dekorativ draußen an den Hauswänden angebracht waren und die im Boden eingelassenen Lichter im Garten, die Sträucher und Blumen von unten in ein märchenhaftes Licht tauchten. Einige Geckos erwiderten dies mit einem sechsfachen knackenden Schnalzen der Zunge.
 
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Iffi

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18 Oktober 2008
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Episode 1.14

Immer, wenn die allgemeine Dunkelheit lediglich vom Schein der Lampen an seinem Haus befleckt wurde, genehmigte sich George regelmäßig einen „Black Nam“, einen Black Label mit Wasser.

Mit dem Glas in der Hand rief er dann seiner Frau zu: „Ich gehe noch einen Augenblick auf die Veranda und rauche ein Zigarillo. Ruf mich bitte, wenn das Abendessen angerichtet ist.“

George wollte seinen Gedanken nachhängen – alleine. In letzter Zeit neigte er manchmal zur Melancholie.

Er betrat die Veranda wie eine Kirche oder einen buddhistischen Tempel. Keine hastigen oder gar albernen Bewegungen, sondern ruhigen gleichmäßigen fast andächtigen Schrittes, geradezu, als ob er niemanden durch sein plötzliches Erscheinen erschrecken wollte. Zwei Ecken der Veranda waren mit Laternen aus verschnörkeltem Eisengestell und bunten Glasscheiben bestückt. Sie erinnerten an bleiumfaßte Kirchenfenster. Unter der Decke war eine runde flache Schale aus milchigem Glas befestigt, die von innen beleuchtet wie der Vollmond leuchtete. Mit etwas Phantasie konnte man die schattenwerfenden Überbleibsel der Insekten in ihr, die Geckos verspeist hatten, für Krater halten. Es war wohl mal wieder an der Zeit, das Glas aus der Halterung zu nehmen und die Essensreste und den Kot der Geckos zu entfernen, dachte George. Aber das konnte bis zum nächsten Wochenende warten.

George war eigentlich ganz zufrieden mit seinem Beruf. Besonders mit Pattaya. Er fand immer wieder Gelegenheit, seine männliche Pflicht zu erfüllen, die da hieß, seine Spermien möglichst weit zu verbreiten. Psychologen nannten diesen Vorgang „strukturelle Polygamie“, George etwas schlichter „einen Job erledigen“.

Seine angenehme private Bleibe zusammen mit seiner ordnungsliebenden und sich nach amerikanischer Vorstadtidylle sehnenden Ehefrau erfüllte dabei die Rolle eines Ankers, der ihn nicht allzu weit vom Hafen abtreiben ließ. Niemand konnte ihm vorwerfen, daß er dies nicht zu schätzen wußte. Aber George hatte Blut geleckt. Besonders in der heißen Jahreszeit von März bis Mai, wenn Rose es nicht in diesen Gefilden aushielt und in die Heimat reiste, ging er fast jede Nacht auf die Rolle. Als Mann im besten Alter hatte dies noch keine Auswirkungen auf sein Arbeitsleben. Solch einen Lebenswandel steckte er locker weg und es wäre ihm nie im Traum eingefallen zu schwänzen.

Aber nach bereits drei Jahren tagtäglich in Thailand, besonders Pattaya, von einem dreiwöchigen Urlaub pro Jahr in der Heimat Illinois abgesehen, hatte die weibliche Exotik ihren anfänglichen Reiz verloren. Zu tief hatte er sie ausgekostet, zu intensiv war er ihr gefolgt. Nicht, daß er gänzlich gelangweilt auf außereheliche Sexspiele verzichtet hätte, aber das Ritual der Anbandelung und die immer wieder gleichen Geschichten seiner Sexpartnerinnen ödeten ihn allmählich an. Manchmal schien es, als ob eines der Mädchen wirklich anders wäre, aber spätestens nach dem dritten Treffen offenbarte sie ihre trostlose Gewöhnlichkeit, die sie am Anfang geschickt zu verbergen wußte.

Seine Kollegen sagten, er sei ein Mann von Welt, der wegen seines Jobs schon überall gewesen war. Und der auch eine Menge hübscher Mädchen kennengelernt hatte. Er besaß alles, er hatte sich nie gewünscht, ein anderer zu sein. Bis jetzt. Die Frage, ob das schon alles gewesen sei, meldete sich nagend in immer kürzer werdenden Abständen.

Jetzt auf der Veranda hoffte er auf ein Wunder, das ihn aus der Belanglosigkeit des Lebens erretten würde.

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Er brauchte eine gute Frau, damit er sich wie ein Mann fühlen konnte. George wollte damit nicht behaupten, er sei ein guter Mann, er würde aber einer sein, wenn er nur durfte. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, denn dann müßte er sich eingestehen, daß er nach der Geschichte mit Sara nie mehr wieder intensiv geliebt hatte.

Verliebt war er oft genug. Besonders in Rose. Sie war eine gute Frau, besonders für einen Mann, der ungestört von Nebensächlichkeiten, ständig an seiner Karriere bastelte. Sie besorgte den Haushalt, pflegte ihr Heim mit Sorgfalt und achtete darauf, daß er immer adrett aussah. Sie war eine hervorragende Gastgeberin und in Gesellschaft eine angenehme Gesprächspartnerin. Im Bett konnte sie immer noch sehr aufregend sein. Als vierzigjährige Frau kannte sie ihren und seinen Körper und wußte, wie sie sich gegenseitig ein Höchstmaß an Lust bereiten konnten. Zwar nur noch ein bis zweimal im Monat, aber immerhin. Konnte er deswegen von sich behaupten, daß er in Rose unsterblich verliebt sei? War sie nicht eher eine Frau, deren Gegenwart er einfach nur als angenehm empfand? Als nützlich ebenfalls? Liebe war doch etwas anderes? War die nicht mit totalem Verzehren nach dem Partner verbunden? Der Bereitschaft, zu sterben, falls die Situation es erforderte?

George fühlte die Sehnsucht nach diesem Ideal schon seit einiger Zeit in sich. Was war nur plötzlich mit ihm los?


Wie immer beobachtete er das Spiel der Mücken, Stechfliegen, Motten und manchmal auch Termiten, die um die Lichter schwirrten. Sie erinnerten ihn an Elektronen, die um einen Atomkern kreisten. Je nach Anzahl der Insekten versuchte er das Element zu bestimmen. Gab es aber schnell wieder auf.

Bald war die Luft mit dem Geschnalze der Geckos erfüllt. Zikaden rieben wieder schnarrend oder zischend ihre zuvor gepflegten Beine an ihren Körpern, Vögel verteidigten laut zwitschernd ihr Nachtlager und die Mopedfahrer hatten den Lichtschalter gefunden, um mit Sicht in die Nacht zu donnern.

Während Rose das Abendessen vorbereitete, George an seinem Zigarillo zog, den er immer gerne abends zum „Black Nam“ rauchte, gingen diese hellhäutigen Eidechsen auf Jagd. Geschickt schnappten sie mit ihren Mäulern und Zungen nach den um die Lampen kreisenden Elektronen. Die leuchtenden Atomkerne wechselten ständig ihre Position im Periodensystem. Wortwörtlich im fliegenden Wechsel.

Neben aller wissenschaftlichen Assoziation der Physik, die ihn manchmal spielerisch überkam, war es George von Anfang an in Thailand einmal aufgefallen, daß Geckos etwas Weibliches an sich hatten. Ihre großen treuen Augen, ihre Mäuler mit den weichen Zungen, ihre Unberechenbarkeit, mal ängstlich, dann wieder aufdringlich neugierig, ihre süßen Füße mit den gespreizten Zehen, ihre Unstetigkeit, ihre schaukelnden selbstsicheren Bewegungen des Körpers, Georges Drang, sie zu beschützen und womöglich auch einmal zu streicheln, all dies zusammengenommen verband er mit Weiblichkeit.

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Aus der Küche rief Rose: „George, das Abendessen ist fertig. Wasch dir die Füße, ehe du hereinkommst.“


Kurz bevor George den Wasserhahn an der Außenwand aufdrehte und seine Füße unter den Strahl halten wollte, hörte er jemanden ganz in der Nähe einen Namen rufen: „Tu gä, tu gä, tu gä.“ Erstaunt drehte sich George um, doch da war niemand. Gefühlsmäßig hätte er behauptet, daß diese Stimme nicht mehr als vier Meter von ihm entfernt war. Aber so sehr er auch die Umgebung mit seinen Blicken absuchte, nichts, rein gar nichts deutete auf die Anwesenheit einer Person hin.

Noch ahnte George nicht, wie sehr der Urheber dieser Stimme sein Leben verändern würde...
 
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Iffi

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Episode 1.15

Als George am Montag in der Morgendämmerung frisch geduscht und in langer schwarzer Hose, einem perfekt gebügelten weißen Hemd und einer schwarzen Krawatte mit leuchtend roten Elefanten darauf, die alle ihren Rüssel erhoben, die Küche betrat, hatte Rose das Frühstück schon vorbereitet. Nur die Socken und Schuhe hatte er noch nicht angezogen. Das war einer der wenigen Kompromisse Rose’ an die Thai-Tradition. Nämlich darauf zu bestehen, im Hause keine Schuhe zu tragen. Das kam ihrem Sauberkeitswahn sehr entgegen.


„Guten Morgen, handsome man“, flötete Rose gut aufgelegt und gab George einen Kuß auf den Mund.In der Nacht vorher hatten sie miteinander geschlafen. Sie meinte danach, daß George etwas Besonderes an sich gehabt hätte, fast meditatives, welches ihm eine Ruhe und Stärke verlieh und seinen Körper angenehm „strahlen“ ließ. Außerdem seien seine Hände auf ihrem Körper magisch gewesen. Die sachteste Berührung hätten schon Wallungen in ihr hervorrufen. Keine Frau könnte dem widerstehen.


George dachte an Mae Thoranie und Nim und erinnerte sich an das angenehme, fast schon spirituelle Gefühl der Befriedigung, das ihn überkam, als die Figur endlich wieder ohne sichtbare Spuren durch seiner Hände Arbeit zusammengesetzt war. Und hatte Nim nicht erwähnt, daß seine Hände vielleicht magic wären? Hatte Rose das in der Nacht gespürt? Machte ihn das etwa sexy aus ihrer Sicht?


George verabschiedete sich lieb von Rose, die ihn wie immer bis zur Türe begleitete, ihn aufforderte, vorsichtig zu fahren. Als Georg in seinen Wagen stieg, um nach Map Ta Phut in sein Büro zu fahren, ließ er mental sein Heim weit hinter sich. Seine Gedanken schweiften in die nahe Zukunft. Noch einmal vergewisserte er sich, daß er Mae Thoranie dabei hatte. An diesem Abend würde er Nim wiedersehen...


Ende Kapitel 1
 
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Iffi

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18 Oktober 2008
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Kapitel 1 - Schwerpunkte


Dieses 1 Kapitel dient dem „stage setting“, der Vorbereitung und Einrichtung der Bühne, auf der diese Story spielt.

Wir kennen jetzt die Hauptdarsteller:

  • George, der mit Rose verheiratet und arbeitende Expat in Thailand und nichts anbrennen laesst.
  • Rose, seine penible und in Thailand nicht besonders glückliche Ehefrau
  • Nim, das undurchschaubare Bargirl
  • Mamasan, Nim's Schwester
  • Wayne, Vietnam-Veteran, in Thailand hängengeblieben

Die Örtlichkeiten

  • Pattaya Bierbar
  • Map Ta Phut, Georgs Arbeitsstätte
  • Nongprue, Georg und Rose Wohnsitz


Mystik

  • Aufbau eines typischen Bar-Schreines
  • Mae Thoranie, die Erdgöttin
  • Maneki Neko, die winkende Katze

Dabei wird es nicht bleiben. Es fehlen noch ein paar wenige Hauptdarsteller und ganz besonders die geheimnisvollen Tiefen der Thai Mystik.


Kapitel 2 folgt sogleich...
 
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Iffi

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Kapitel 2.0


Don't turn your back on me baby
Don't turn your back on me baby
Yes, don't turn your back on me baby
You're messin' around with your tricks
Don't turn your back on me baby
'cause you might just break up my magic stick


Im benachbarten Nongprue, nahe der Wohnanlage, in der Rose und George lebten, war die allmorgendliche Routine schon in vollem Gange. Der Krämerladen mit dem Steintisch davor und den Sitzbänken drum herum, war schon längst geöffnet, und die mobile Garküche am Wegesrand schon seit dem Morgengrauen in Betrieb, damit die arbeitende Bevölkerung nicht mit leerem Magen zu ihrer Wirkungsstätte fahren mußte.

Der moslemische Teil der Dorfbewohner hatte sein Morgengebet längst verrichtet. Sie kamen ursprünglich aus Bangkok und hatten sich in den Aufbruchsjahren von Pattaya in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts dort niedergelassen. Alle anderen waren Thai-Khmer, deren Vorfahren im Laufe der kriegerischen Wiedervereinigung Siams durch General Taksin hier eine friedliche Heimat fanden.

Kinder in adretten Schuluniformen, dunkelblauer Rock und weiße Bluse für die Mädchen, schwarze Hose und weißes Hemd für die Buben, machten sich auf den Weg in die Schule. Ein junger Birmane pries Eier, Obst und etwas Gemüse aus seinem Bauchladen an. Alle kannten ihn. Niemand störte sich an seiner Gegenwart und seinem illegalen Aufenthalt in Thailand.

Dieser Teil Nongprues lag nicht an einer der befahrenen Landstraßen dieses Dorfes, sondern recht versteckt im Busch an einer unscheinbaren Nebenstraße, die schon nach hundert Metern in einen Sandweg überging. Die etwa zwanzig Häuser dieser kleinen Siedlung waren in der Mehrzahl noch in traditioneller Holzbauweise erstellt. Die besten Tage hatten sie schon lange hinter sich. Einige versteckten sich unter Bäumen etwas abseits, andere, besonders die wenigen aus Stein, lagen am Sandweg. Die Grundstücke waren geräumig. Es herrschte keine Enge zwischen den Nachbarn. Alles wirkte etwas ärmlich, aber einen Slum konnte man diesen Ort nicht nennen.

An diesem frühen Montagmorgen saß ein Farang am Steintisch des Krämerladens.

Irgendwo bellte ein Hund.

„Schnauze!“ rief der Mann.

Diese verdammten Moslems, dachte er, die vergifteten doch so gerne Hunde. Aber diesen dämlichen Köter hatten die wohl vergessen!

Er blickte nach oben. Der Himmel hatte sich bezogen, mehrere Wolken türmten sich auf. Er wußte, daß es bald regnen würde. Das laue Lüftchen wurde durch erfrischende Windböen abgelöst.


Ein Blitz zuckte über den Himmel, nach einiger Zeit gefolgt von Donnergrollen.

„Schnauze!“

Der Mann trug ein buntes Hawaii-Hemd, bis kurz über dem Bauchnabel geöffnet, und dazu halblange Hosen, die die Waden frei ließen. Seine nackten Füße steckten in Gummilatschen. Er hatte breite Schultern und stark ausgebildete Oberarme. Als dick konnte man ihn nicht bezeichnen, aber den Ansatz dazu konnte er nicht mehr leugnen. Er sah eigentlich wie ein ganz normaler Tourist aus, der vielleicht die letzte Nacht außerhalb Pattayas durchgefeiert hatte, sich nun nicht mehr sicher war, wo er überhaupt war und sich vor einem Laden niedergelassen hatte, um seinen Nachdurst zu stillen.

Es schien etwas in der Luft zu liegen. Die normalerweise aufgeräumten Gesichter der Dorfbewohner waren betretenen Mienen gewichen. Man vermied es, Blickkontakt zu dieser Person herzustellen, obwohl jeder diese verstohlen beobachtete. Nur die ganz mutigen trauten sich in den Laden hinein. Mußten sie doch, wenn sie den Laden betreten oder verlassen wollten im Abstand einer Armlänge an diesem Farang vorbei gehen. Die Stimmung im Dorf ähnelte der viel zitierten Situation, in der man es tunlichst vermied, schlafende Hunde zu wecken.

Lothar, so hieß dieser Farang, bekam von all dem nichts mit, oder es war ihm einfach egal. Er hatte sich nicht verirrt. Im Gegenteil. Er wohnte im Hause einer Dorfschönheit, etwa 30 Meter vom Wege entfernt, in einem schattigen Hain aus Papaya- und Mangobäumen. Zwischendrin und am Rande des nicht gerade kleinen Grundstückes wuchsen riesige Kokospalmen. Ein zweites Haus aus Stein, noch ziemlich neu, welches nur aus dem Erdgeschoß mit einem einzigen Zimmer mit separater Toilette und Dusche bestand, gehörte noch dazu. Allerdings in einigem Abstand von dem Haupthaus und gleich am Wegesrand. Es gehörte der älteren Schwester seiner Frau.

Lothar war verheiratet, wenn auch nur traditionell nach Thaiart. Das war eine unausweichliche Vorraussetzung, wenn er mit einer Frau in diesem Dorf Haus und Bett teilen wollte. Auch wenn es noch so nahe an Pattaya lag, wo man auf solche moralischen Feinheiten nicht unbedingt wert legte.

Die Hochzeit war noch gar nicht so lange her. Die Dorfbewohner erinnerten sich gerne an seine Ankunft in Nongprue zwei Jahre zuvor, auf seinem Motorrad mit seiner jetzigen Frau auf dem Rücksitz. Die hatte er kurz vorher in einem Handy-Geschäft kennengelernt, als sie sehnsüchtig eines der neuen „Smartphones“ begutachtete. Als Lothar den Laden betrat, fiel sein Blick unwillkürlich auf ein Paar nackte Schultern. Sie wirkten verführerisch anziehend und waren nur von den schmalen Spaghettiträgern ihres schwarzen Tops bedeckt. Zwischen den Schulterblättern fiel langes schwarzes Haar bis zur Hüfte. Als Lothar sich näherte, sah er, wie das Mädchen das Handy zärtlich streichelte und überhaupt wie einen kostbaren Juwel in der Hand hielt. Lothar fand diese Szene so rührend, daß er sie ansprach und fragte, ob er ihr helfen könnte. Am liebsten hätte er sie aber vor allen Leuten auf die Schulter geküßt.

Das Mädchen drehte sich zu ihm um, sah ihn mit großen kindlichen Augen an und sagte nur: „Handy sehr schön, teuer zu viel.“

Lothar kaufte ihr das Handy zusammen mit einer Pre-Paid-SIM-Karte. Es war ein Samsung mit Touch Screen, für zierliche Finger sicher gut geeignet. Für die mit gröberen Händen befand sich ein spitzzulaufender Stift im Handy versenkt. Bald darauf waren sie ein Paar.

Als Lothar nach Thailand kam, schwamm er noch im Geld, dem Erlös vom Verkauf seines Transportunternehmens mit fünf Lkws. Er hatte bis zum Schluß selbst gearbeitet und war lange Strecken gefahren. Als seine Bandscheiben nicht mehr mitmachten, beschloß er, ein neues Leben anzufangen. Da war er gerade einmal 45 Jahre alt. Pattaya schien der ideale Ort zu sein, um sich endlich einmal für seine harte Arbeit zu belohnen und den Rest seines Lebens ohne Streß zu genießen.

Anfangs war Lothar sehr freigiebig. Hatte hier und dort einem Nachbarn aus der finanziellen Not geholfen. Seine Spendierfreudigkeit ließ manches Wochenende zu einem Dorffest ausarten. Lothar schien eine Bereicherung im wahrsten Sinne des Wortes für diesen Ort im Busch zu sein. Alle hielten ihn für einen guten Menschen.

Seine Frau beteuerte ständig, daß sie ihn nicht wegen seines Geldes geheiratet hatte. Was er ihr glaubte, denn obwohl sie es nicht nötig hatte, bestand sie darauf, sich ihr Taschengeld selbst zu verdienen, ging hier und dort einer Tätigkeit nach, die ihr ein paar Hundert Baht oder mehr einbrachten und fragte nie nach größeren Zuwendungen. Das hielt Lothar aber nicht davon ab, das alte Erbstück, das Haus seiner Frau, zu renovieren und faranggerecht herzurichten. Dazu gehörten neben einem neuen blauen Dach ein Badezimmer mit fließend Warmwasser, eine Küche und natürlich moderne Heimelektronik, wie einen großen Fernseher und eine gediegene Sound-Anlage, auf der er Musik mit entsprechender Lautstärke unverzerrt hören konnte.

Wegen der weltweiten Niedrigzinsen suchte Lothar nach gewinnbringenden Investitionsmöglichkeiten. Die fand er schnell. Eine Immobilienfirma in Pattaya suchte Teilhaber für ein größeres Wohnanlagen-Projekt. Eine todsichere Angelegenheit, glaubte Lothar. Todsicher war sie tatsächlich, aber für die Firma selbst. Die ging wegen Altschulden und schief gelaufener Projekte in Konkurs, und ihr gesamtes Vermögen wurde an die Schuldner verteilt. Darunter auch Lothars Anteil.

Lothar erlitt einen Schock. Er hatte bis auf eine kleine Rücklage alles verspielt, sich seine Bandscheiben für nichts ruiniert. Jedes Mal, wenn er seinen Safe im Schlafzimmer, versteckt im Kleiderschrank, öffnete, einen Blick auf seinen rapide gesunkenen Bargeldvorrat warf und die ursprünglich eingezahlte Summe in seinem Sparbuch sah, überkam ihn eine unbändige Wut. Dann griff er zur Bierflasche und hörte nicht mehr auf zu trinken, bis er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Wenn in einer solchen Situation Lothar sah, wie seine Frau die gebügelten Hemden in den Schrank mit dem Safe hängen wollte, schrie er sie an, daß sie gefälligst die Finger von dem Geld lassen solle.

Seine Frau versicherte ihm immer wieder, sie sei nicht wegen des Geldes mit ihm zusammen. In ihn hätte sie sich verliebt. Er solle sich keine unnötigen Gedanken machen. Ab jetzt würde sie für beide zusammen sorgen. Sie wisse schon, wie sie leichtes Geld verdienen könne.
Lothar versuchte sein Los zu ertragen so gut es ging. Aber er entwickelte einen tiefen Haß gegenüber sich selbst. Wie konnte er nur so dumm gewesen sein?


Die Tatsache, daß er ab jetzt von seiner Frau abhängig war, dazu noch, daß sie offensichtlich mit anderen Männern schlief, um sich selbst und ihn zu ernähren, ließ zusätzlich sein Selbstwertgefühl auf den Nullpunkt sinken. Sein Bierkonsum stieg ins Unermeßliche. Seine aggressiven Schübe gegen sich selbst und seine Frau häuften sich, zumal sie in manchen Nächten einer ungewöhnlichen Angewohntheit nachging.

Sie schlafwandelte und stellte dabei sonderbare Dinge an. Sie schien sich dann in ein anderes Wesen zu verwandeln, wie Zeugen berichteten.

Nachbarn rieten ihm, einen „Mo Pi“, Schamanen, einzuschalten, denn Lothars Frau sei von einem dunklen Pi, Geist, besessen.
 
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Episode 2.1

Lothar zögerte, denn er glaubte nicht an solche Dinge. Allerdings, je länger er in Thailand war, um so mehr wurde ihm bewußt, daß er mit westlicher Logik, Rationalität und Vernunft nicht weit kam. Schon des öfteren hatte er sich dabei ertappt, wie er bestimmte Dinge im Thai-Stil anging, auch wenn er meist die unangenehmen Seiten übernommen hatte.

Meinungsverschiedenheiten ging er grundsätzlich aus dem Weg. Wenn ihm eine Frage nicht paßte, überhörte er sie einfach, Diskussionen entzog er sich. Wenn sich dennoch eine Konfrontation ankündigte, schlug er zu.

So schien es ihm schließlich erfolgsversprechend, das Problem einer Thai auch mit Thaimitteln zu lösen.

Die Tante von Lothars Frau wußte Rat. Sie kannte einen „Mo Pi“, Schamanen, der in Pattaya und Umgebung als Geheimtip galt. Daher vereinbarte sie einen Termin, und als es so weit war, liefen Lothar, seine Frau und ihre Tante bis zur Landstraße vor in der Hoffnung, ein Baht-Taxi zu finden. Drei Personen auf Lothars altem Moped hätte das Gefährt wohl nicht überstanden. Länger als fünf Minuten brauchten sie nicht am Straßenrand zu warten. Nachdem sie die eingleisige Bahnlinie überquert hatten und schließlich die Sukhumvit Road erreichten, wechselten sie das Taxi und fuhren Richtung Naklua. Die Tante gab dem Fahrer genaue Anweisungen.

Der Fahrer hatte einen Bleifuß und holte das Letzte aus seinem Gefährt heraus. Als sie einen Lkw mit Anhänger überholten, erfaßte sie wie aus dem Nichts ein gewaltiger Windstoß und hätte sie beinahe gegen den Laster gedrückt. Die halb heruntergelassenen Plastikplanen an den Seiten des Baht-Busses, die vor Regen schützen sollten, blähten sich auf, und es schien für einen Moment, als ob die Räder die Bodenhaftung verloren und das Gefährt wie ein Papierdrache davon segeln würde. Alle Gesichter waren vom Schreck gezeichnet.

Lom räng“, starker Wind, brach die Tante das allgemeine Schweigen. „Mai pen rai.“

Die drei verließen das Baht-Taxi auf einem Grundstück abseits der Hauptstraße in Naklua. Dort befand sich eine Villa im Thai-Stil im Bau. Gleich daneben, man hätte es für die Unterkunft der Arbeiter halten können, stand eine schäbige Hütte, in der anscheinend der
„Mo Pi“ wohnte, denn die Tante von Lothars Frau führte sie schnurstracks dorthin.

Bevor sie eintraten, öffnete sich die Türe von innen und ein Mann ganz in weißer Kleidung begrüßte die Anwesenden. Drinnen war es düster. Kein Fenster ließ das Tageslicht hinein. Nur eine alte Neonröhre erhellte schwach den Raum, an dessen Wänden typisch bunte Bilder von indischen Gottheiten hingen. Der Boden war überall mit Wachsklecksen und dunkelgrauen Ascheflecken übersät.

Ein Film-Poster von „Mae Nak“ erweckte die Aufmerksamkeit von Lothars Frau...
 
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Episode 2.2

Es ist die Verfilmung einer gruseligen Thai-Legende, in der der Geist einer verstorbenen schwangeren Frau allerlei Unheil stiftet. Diese Legende ist Teil des kollektiven Bewusstseins unter Thais.

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So auch von Lothars Frau. Sie war eine Verehrerin von Mae Nak, besonders in der Anfangszeit zusammen mit Lothar, als sie noch wirklich in ihn verliebt war.

Steht diese Legende doch für eine Liebe, die den Tod überdauert. Sie entstand zu König Monkuts, Rama IV, Zeiten.

Der Ehemann einer jungen wunderschönen schwangeren Frau wird zum Militärdienst einberufen und begibt sich in die Schlacht.

Als er nach Monaten zu seiner Familie heimkehrt, findet er seine Frau mit einem frisch geborenen Baby vor. Wieder zusammen führen sie eine sehr glückliche Ehe. Wenn da nicht...

...tja, wenn da nicht das Gerücht in der Nachbarschaft kursierte, dass die Ehefrau Nak und ihr Baby Gespenster seien. Nak sei nämlich während der Tod-Geburt ihres Kindes verstorben.

Nak rächte sich an einigen der Nachbarn, indem sie einen unnatürlichen Tod starben. Ihr Ehemann sollte auf keinen Fall etwas davon erfahren. Aber es half nichts. Die Gerüchte blieben ihm nicht verborgen, aber er weigerte sich, sie zu glauben.

Bis zu dem Tag als Nak auf der Veranda im ersten Stock eine Speise zubereitete, ihr eine Zitrone aus der Hand flutschte, tief unten vor der Haustüre landete und Nak diese Zitrone mit langem Arm einfach aufhob, ohne die Veranda zu verlassen.

Naks Ehemann war geschockt. Wusste er nun, dass seine Frau ein Gespenst war. Er bekam Angst und machte sich bei nächster Gelegenheit aus dem Staub.

Nak war zu Tode betrübt und sauer. Sie terrorisierte die Nachbarn bis eines Tages ein mächtiger Schamane sie in einen Krug verbannte und in einem See versenkte. Fischer fanden diesen Krug, Nak konnte entweichen und ihren Rachefeldzug fortsetzen.

Ein strenggläubiger und spirituell begnadeter Mönch konnte sich Nak ermächtigen, entnahm einen Knochensplitter aus ihrer Stirn und versiegelte ihn in einer kleinen Flasche, die er an dem Gürtel seiner Robe befestigte. Der Geist Naks war auf diese Art und Weise für immer aus dem Verkehr gezogen.

Für viele Thais und auch für Lothars Frau ist dies keine Legende, sondern eine wahre Geschichte. Sie verbinden damit ewige und unsterbliche Liebe , die den Tod überdauert und verehren Nak.


Ein Mae Nak Schrein im Wat Maha But, in Bangkok, On Nut, Sukhumvit Soi 77, dient heute als Wallfahrtsort für die Verehrer von Mae Nak. Auch Lothars Frau hatte ihn einmal besucht.

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Episode 2.3

Nachdem der
„Mo Pi“ einige Kerzen und Räucherstäbchen auf einem Altar angezündet und das elektrische Licht ausgeschaltet hatte, forderte er seine Gäste auf, sich auf die Knie zu begeben, die Hände in der Wai-Geste vor dem Gesicht, murmelte etwas, das nicht unbedingt nach Thai klang, pustete weißes Pulver von seiner Handfläche in die Gesichter der Knieenden und sprach dann im fragenden Ton zu den Anwesenden. Die Tante übernahm sofort das Wort.

Lothar stand auf. Er fühlte sich unwohl, was seine Teilnahme betraf. Er war schließlich kein Thai, und es ging um seine Frau.

Die Tante erzählte dem „Mo Pi“ von den nächtlichen Eskapaden ihrer Nichte, in welchem Zustand man sie manchmal morgens im Dorf aufgefunden hatte und daß sie sich an nichts zu erinnern schien. Der „Mo Pi“ forderte Lothars Frau daraufhin auf, sich auf eine Matratze zu legen und den Bauch frei zu machen. Lothar stand skeptisch daneben, immer bereit einzugreifen, falls etwas Ungebührliches geschehe.

Mit einem Griff in eine Schachtel zog der „Mo Pi“ eine etwa 20 Zentimeter lange Eidechse hervor und legte sie auf den nackten Bauch von Lothars Frau. Zunächst geschah nichts. Alle hielten den Atem an. Dann ertönte eine menschliche Stimme und rief dreimal to gä, to gä, to gä. Die Stimme schien aus dem Bauch von Lothars Frau zu kommen.

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Lothar, zunächst verwirrt, weil niemand währenddessen die Lippen bewegt hatte, begann vor Wut zu zittern. Wie sehr haßte er diese Viecher und besonders diese Stimme, die ihn auszulachen schien. So kam es ihm jedenfalls vor. Gerade wollte er sich den Gecko greifen und an die Wand werfen, als der „Mo Pi“ seine Hand auf Lothars Unterarm legte und ihn unverhohlen ansah. Wie von Geisterhand berührt, besann sich Lothar eines Besseren und blieb ruhig.


Der gleiche Ruf ertönte noch fünfmal. Die Kerzen begannen zu flackern, als ob sie erlöschen wollten. So schnell der „Mo Pi“ die Eidechse aus der Schachtel gezogen hatte, so schnell beförderte er sie mit einem Griff wieder hinein. Dann malte er mit feuchtem weißen Pulver Symbole auf den Bauch von Lothars Frau, ähnlich, wie sie die Mönche über der Eingangstüre hinterließen, nachdem sie ein Haus gesegnet oder eingeweiht hatten. Dabei murmelte er ständig unverständliche Worte. Lothars Frau sagte kein einziges Wort. Sie hatte schon seit der Fahrt zu diesem Ort geschwiegen und wirkte nun geradezu hypnotisiert.

Der „Mo Pi“ erzählte der Tante, daß der Fall nun klar sei. Ihre Nichte sei von einem weiblichen To gä besessen. Der Beweis sei der Balzruf seiner Eidechse gewesen. Bei jedem anderen Wesen hätte sie sofort schmerzhaft zugebissen. Die Thais benannten dieses Tier nach seinem Ruf: To gä. Die übliche Schreibweise ist „Tokay“.

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Noch einmal wurden alle aufgefordert, auf die Knie zu gehen, die Hände zum wai vor dem Kopf. Auch Lothar. Der „Mo Pi“ besprenkelte sie mit einer Rute, die er vorher in eine Flüssigkeit getaucht hatte. Sie roch leicht nach Mekhong-Whiskey. Dann klatschte er dreimal in die Hände, und die Sitzung war beendet. Der Blick von Lothars Frau wurde wieder klar. Es schien, als ob sie aus einer Trance erwachte.
 
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Episode 2.4


Die Tante forderte Lothar auf, den
„Mo Pi“ zu bezahlen.

„Wieviel?“

„6000 Baht“, lautete die Antwort.

„Wie bitte? Seid ihr alle verrückt?“

Lothar drehte sich um und wollte den Raum sofort verlassen. Doch die Tante hielt ihn zurück und flehte ihn an zu zahlen. Wenn er jetzt im Ärger davonliefe, würde er ganz sicher böse Geister wecken und noch schlimmeres Unheil über alle Anwesenden heraufbeschwören. Der „Mo Pi“ könne seine Kunst auch zum Nachteil von Personen anwenden. Den Begriff Black Magic vermied sie ganz bewußt in jenem Moment. Die beiden Frauen sahen Lothar flehend an. Der „Mo Pi“ guckte finster.

Soviel Geld hatte Lothar nicht dabei. Die beiden Thaifrauen hatten ihm vorher nicht gesagt, daß das teuer werden könnte.

„Hauptstraße nahe. Geldautomat gleich an der Ecke“, sagte Lothars Frau, die offensichtlich erst jetzt ihre Sprache wiedergefunden hatte.

Lothar machte sich auf den Weg. Die Frauen blieben beim „Mo Pi“.

Die Windböen waren inzwischen stärker und anhaltender geworden. Lothars nur halbzugeknöpftes Hemd flatterte an seinem Oberkörper. Lothar stemmte sich gegen den ständig wechselnden Wind und mußte aufpassen, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Knöpfe hielten der zerrenden Gewalt des Stoffes nicht stand und verabschiedeten sich für immer. Fast hätte ihm eine Böe das Hemd vom Körper gerissen.

Verdammt. Jetzt wollen die nicht nur mein Geld, sondern ziehen mir auch noch das letzte Hemd aus, dachte Lothar, ohne an diesem Gedanken irgend etwas komisch zu finden.

Als er noch verstimmter als vorher zurückkam, machte ihm die Tante klar, daß er das Geld mit ruhigem Herzen übergeben müsse. Vielleicht wäre es gut, wenn er sich kurz sammeln würde, bevor er dem „Mo Pi“ das Geld mit beiden Händen überreichte.

Lothar versuchte, sich zu beruhigen, indem er ein paarmal tief durchatmete. Er wünschte sich nichts sehnlichster, als daß seine Frau wieder gesund würde, ein normales Leben führen konnte und vor allen Dingen sich wieder voll um die Finanzierung und Unterstützung ihres Haushaltes kümmerte. Sentimental erinnerte er sich daran, wie er ihr bei der ersten Begegnung das ersehnte Handy schenkte und sich insgeheim schwor, alles für dieses Mädchen zu tun.

Lothars Ärger verflog. Draußen wurde es still. Die Stimme des Windes, die die Ritzen der Bretterbude des Schamanen als pfeifendes Instrument benutzt hatte, verstummte vollständig. Feierlich und reinen Herzens übergab Lothar das Geld.

Lothar, seine Frau und die Tante traten in die Nacht hinaus. Der Himmel war leergefegt. Keine Wolke trübte das stetige Leuchten der Sterne und das Flackern der wenigen sichtbaren Planeten. Es schien als hätte der Sturm eine reinigende Wirkung gehabt.

Auf der Rückfahrt erklärte die Tante, daß die „Behandlung“ noch nicht zu Ende sei. Sie hätte noch nicht einmal richtig begonnen. Es sei lediglich die Diagnose gestellt. Noch mindestens zweimal müßten die Dienste des „Mo Pi“ in Anspruch genommen werden. Einmal genau dort, wo ihre Nichte schlief, das hieße in ihrem Schlafzimmer, und einmal in der darauffolgenden Vollmondnacht vor ihrem Haus draußen im Garten. Wenn der Tokay stumm bliebe, wäre Lothars Frau geheilt. Daß er zusätzlich zubeißen müsse, verschwieg sie.

Lothar stellte sich weitere Rechnungen in ähnlicher Höhe vor, und ihm wurde heiß. Er unterließ es allerdings zu protestieren.

„Und was hat der Schamane sonst noch gesagt?“ fragte er.

Mai ru, ich weiß es nicht“, antwortete die Tante. „Es war Khmer Sprache.“

Das war mehr als geflunkert, denn die Tante war mit der Khmer-Sprache wie viele andere in der versteckten Siedlung in Nongprue nach wie vor vertraut. Untereinander unterhielten sie sich im Khmer-Dialekt, der in der Provinz Si Saket gesprochen wurde. Denn von dort waren sie vor langer Zeit nach Nongprue übergesiedelt. Die Tante sah nicht ein, daß der Farang alles wissen müsse. Außerdem war es nicht gut, über Magie zu reden. Egal, ob über weiße oder schwarze. Die Geister hatten es nicht gerne, wenn man ihre Geheimnisse an Fremde verriet. Und ein Fremder würde Lothar für immer bleiben.

Lothar mußte tatsächlich noch zweimal 6000 Baht bezahlen. Das schien der Standardpreis des „Mo Pi“ für seine Dienste zu sein. Für viele Thais ein ganzes Monatsgehalt. War das etwa das Haus des Medizinmannes, welches neben seiner schäbigen Hütte der Vollendung entgegenstrebte, fragte sich Lothar und ahnte die Antwort. Als der Tokay in der hoffentlich letzten Sitzung in der Vollmondnacht auf dem Bauch von Lothars Frau vor dem Hause stumm blieb, atmeten alle Anwesenden auf. Obwohl die Eidechse nicht zugebissen hatte, wurde die Behandlung für erfolgreich erklärt. Lothar kam es so vor, als ob der Tokay schon halb tot gewesen war. Zumindest sehr altersschwach. Hatte der sich überhaupt bewegt? Der „Mo Pi“ beförderte das Tier wieder in die Schachtel. Niemand bemerkte, als eine dünne giftgrüne Schlange in die Box schlich, in das offene Maul des Tokay hineinkroch und dessen Leber anfrass.
 
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Episode 2.5

Lothars Frau wurde zum Dorfgespräch. Solche Geschichten ließen sich nicht verheimlichen. Auch über Lothar wurde getuschelt, denn er trug seine schwere Zehn-Baht-Goldkette nicht mehr. Sein Motorrad war einer alten gebrauchten Honda gewichen, die er dem Chefredakteur einer Zeitung abgekauft hatte, der ebenfalls pleite gegangen war. Er blieb fast nur noch zu Hause im Dorf. Im Gegensatz zu seiner Frau, die ab dann oft erst vormittags heimkam und sogar nachmittags manchmal schon unterwegs war.


An diesem Morgen hielt Lothar es nicht länger zu Hause aus. Er brauchte dringend ein paar Bier zur Beruhigung und als Nachschub für seinen nachlassenden Alkoholpegel. Er setzte sich an den Steintisch vor dem Krämerladen. Er war wütend, wie schon lange nicht mehr, geradezu außer sich, denn in der Nacht zuvor war seine Frau wieder von der Rolle gewesen, kam nackt und völlig verschmutzt nach Hause. Sie wußte angeblich von nichts und ließ sich nicht dazu überreden, ihm zu erzählen, was ihr passiert war. Lothar war sich nun sicher, daß er sein Geld für die Behandlung durch den Schamanen in den Sand gesetzt hatte.

„Krieg ich hier verdammt noch mal kein Bier, oder was?” brüllte Lothar und knallte die Faust auf den Tisch.

„Hey, Lothar. Geh schlafen!” rief jemand mit weißer Kappe auf dem Kopf dieser anscheinend verwirrten Person auf Englisch zu. Die Dorfbewohner kannten ihn nur zu gut. Wenn er im Rausch war, wurde er zur unberechenbaren Kampfmaschine.

„Hau ab, du Arschficker, oder willst du die Jungfrauen im Paradies kennenlernen?“ brüllte Lothar wieder auf Deutsch, was glücklicherweise niemand verstand. Die Frauen in der Nähe entfernten sich gesenkten Blickes.

„Du trinken zu viel, du machen Angst Leuten. Nicht gut“, entgegnete ihm Amir, ein Moslem des Dorfes, in einem schon fast letzten Versuch, die Situation versöhnlich zu schlichten.

Lothar sprang auf, als ob er ihm an den Kragen wollte. Plötzlich erschienen zwei muskulöse junge Männer mit Blumenkohlohren und eingedrückten Nasenbeinen, wie es typisch für Thaiboxer ist. Wie aus dem Nichts verpasste einer von ihnen Lothar einen Fußtritt auf die Wange. In Höhe dessen Kiefernknochens bildete sich sofort eine hühnereigroße Beule. Lothar ging zu Boden. Als er Anstalten machte, sich wieder aufzurichten, erhielt er noch einen Tritt auf die linke Schläfe. Das war’s. Ohnmächtig blieb er im Staub liegen.

Lothar konnte von Glück reden, daß sie ihn nicht halbtot schlugen.

Sein gutes Karma in diesem Dorf war noch nicht gänzlich aufgebraucht. Noch wurde sein Leben verschont. Noch stellten seine Nachbarn ihn einfach ruhig, wenn er einen seiner Tobsuchtsanfälle bekam. Zwar auf die schmerzhafte Art und Weise, aber immer noch gutgemeint.

Vier Männer trugen den ohnmächtigen Lothar nach Hause und legten ihn auf dessen Bank, welche im Schatten gleich unter dem Fenster stand. Jemand besorgte noch ein Kissen und bettete seinen Kopf darauf. In das düstere Schlafzimmer trauten sie sich nicht hinein. Wer wußte schon, in welch besessenem Zustand sie dort seine Frau antreffen würden, denn es hatte sich bereits herumgesprochen, daß sie in der Nacht zuvor wieder in der Nachbarschaft herumgegeistert war.

Im abgedunkelten Schlafzimmer auf dem Bett stöhnte diese leise vor sich hin. Ihr ganzer Körper schmerzte. Jede Bewegung verursachte Pein. Als sie mit der rechten Hand ihr Gesicht abtastete, bemerkte sie beruhigt, daß sie dort keine Verletzungen oder Prellungen hatte. Auch ihre Augen taten nicht weh und ihre Lider ließen sich normal bewegen. Die Lippen fühlten sich normal an, wenn sie diese mit der Zunge benetzte. Ihre Körperschmerzen würden sicherlich bald vergehen oder sich zumindest lindern. Sie würde heute Abend und in der Nacht wieder Geld im Nachtleben von Pattaya verdienen können. Mit diesen Gedanken fiel sie in einen tiefen Erholungsschlaf.
 
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