Episode 2.7
George traute seinen Ohren nicht. Ihre Antwort klang wie die Erfüllung eines Wunschtraumes. Wenn da nur nicht…
„Zu mir geht leider nicht. Ähm, das ist zu weit weg. Vielleicht können wir woanders hingehen, wo wir ungestört sind?“
Nim schaute George nachdenklich an, antwortete aber sofort. „Bar nicht gut. Zu viele Leute, zu viele Ohren, zu laut.“ Sie schlug vor, auf das Zimmer ihrer Schwester Lek zu gehen. Gleich die Treppe hoch im hinteren Teil des Billardraumes. Den Schlüssel hätte sie gerade erhalten.
Ehe George zustimmen konnte, kam das Bargirl vorbei, überreichte George eine kleine Tüte mit sechs Tabletten und die Rechnung. Genau hundert Baht. George gab dem Mädchen 20 Baht Trinkgeld.
Nim stand schwerfällig auf, ging unsicheren Schrittes hinter den Tresen und holte ihre Handtasche, die sie über ihre rechte Schulter hängte. Mae Toranie gab sie einer Kollegin. Die nahm sie mit beiden Händen entgegen, erklomm den Barhocker und stellte die Figur in den Schrein.
George stand neben der Couch und beobachtete Nim mit Mitgefühl, als sie sich bei jedem Schritt quälend wieder zu ihm begab und nach seiner Hand griff.
Während eines Blickes zurück zur Theke erkannte George einen Mann, der ihm zuprostete und offensichtlich erst kurze Zeit zuvor in die Bar gekommen war. Es handelte sich um Wayne, der sich vom schnellen und lautlosen Todesengel zum Bangkoker Bus- und Khlong-Spezialisten geläutert hatte. An diesem Tag trug er ein schwarzes T-Shirt mit kopulierenden Skeletten und dem Schriftzug „Nail Me“.
Wayne grinste breit und rief ihm hinterher: „Hey, George, alte Säule, bist ja ein ganz Schlimmer. Paß auf dich auf. Ich habe dich gewarnt.“
„Gewarnt?“ fragte Nim kurz darauf an George gewandt. „Was meint er?“
„Ich weiß es auch nicht“, sagte George. Er war sich selbst nicht ganz sicher. Zwar hatte Wayne ihn über Nim bei ihrem ersten Treffen oberflächlich aufgeklärt, aber was sollte daran schon erwähnenswert oder gar mit einer Warnung verbunden gewesen sein?
Nim stieg die Stufen zum ersten Stock vor George hinauf. Es gab kein Geländer, so daß sie sich bei jedem Schritt an der Wand abstützte. George konnte seine Blicke nicht von ihrem süßen Po unter den engen Jeans abwenden.
Nim schloß auf und betrat zuerst das Zimmer. Sie machte Licht im Bad, warf einen kurzen Blick hinein und lehnte die Tür an, ging zur Klimaanlage und schaltete sie an.
Dann legte sie sich auf das Bett und deutete mit ihrer Hand an, daß sich George neben sie setzen oder legen sollte. Der zog sich die Schuhe aus, rückte Nims Kopfkissen noch bequemer zurecht und entschied, sich zunächst nur auf die Bettkante zu hocken.
„Ich dir zuerst etwas zeigen. Du mir helfen.“
Nim öffnete den Gürtel und den Reißverschluß ihrer Jeans. „Helfe Jeans ausziehen.“
George faßte beide Hosenbeine am Saum und zog an den Jeans, während Nim ihren Hintern hob. Schon als er ihre nackten Oberschenkel nur zur Hälfte sah, erkannte er den Grund ihrer Schmerzen. Überall blaue Flecken. Manche faustgroß.
„Oh mein Gott!“ entfuhr es George.
„Mehr gucken“, sagte Nim und zog ihr Top aus, unter dem sie einen BH trug.
George hielt den Atem an. Adrenalin machte sich in seinen Blutbahnen breit. Nim hatte dunkelviolette Blutergüsse auf dem Bauch und besonders in der Nierengegend.
„Wer hat das getan?“ rief George, denn bei einem Unfall hätte sich Nim zusätzlich noch Schrammen und Abschürfungen zugezogen. In seiner Phantasie malte er sich eine wilde Schlägerei aus, bei der er den Täter gehörig verprügeln würde.
„Später, erst Öl“, sagte Nim und nahm ein kleines Fläschchen aus ihrer Handtasche. George hatte so etwas schon gesehen. Sie blieben ihm ein Rätsel. Es gab deren unzählig verschiedene. Viele mit dem Bildnis einer Person versehen, alle nur auf Thai beschriftet, manchmal auch auf Chinesisch.
War da nicht auch ein ziemlich abgegriffenes Foto eines Mannes in ihrer Handtasche? Was hatte das zu bedeuten? Warum lag es lose zwischen all den Utensilien, anstatt sorgfältig und beschützt in einem Fach ihrer Geldbörse eingeordnet? An einigen Stellen schien die Farbschicht schon gelitten zu haben. Nicht mehr lange und es würde nur noch ein zerkratztes und zerfleddertes Stück Papier übrig sein, dachte George. Er war zwar neugierig, aber nicht in dem Maße, wie es nur eine Frau sein konnte. Irgendwann einmal würde er das Geheimnis lüften. Jetzt war sicherlich nicht der rechte Zeitpunkt dazu.
George beschloß, Nim zunächst eine Schmerztablette zu verabreichen, ging zu einem kleinen Kühlschrank und fand wie erhofft eine Flasche Wasser darin. Nachdem Nim brav eine Tablette genommen hatte, öffnete er das Fläschchen und roch daran. Ein starker Hauch von ätherischen Ölen nahm ihm fast den Atem.
„Haut einreiben“, sagte Nim und schloß die Augen.
George versuchte, die Situation zu verarbeiten. Da befand er sich mit einem halbnackten wunderschönen Mädchen auf einem Bett und hatte nichts anderes im Sinn, als ihre Schmerzen zu lindern und ihr zu helfen. Seine Gefühle für Nim waren neu und vertraut zugleich.
Der Nebel der Vergangenheit riß plötzlich auf. Sara hatte sich ähnlich ungezwungen in seiner Gegenwart benommen, hatte ihn gelenkt und von Anfang an keine körperliche Scheu gegenüber George gezeigt. Als sich damals Sara von George trennte, brach für ihn eine Welt zusammen. Es dauerte viele Monate bis er darüber hinweg kam. Trotzdem mochte er die Zeit mit Sara nicht missen. Sie war im hebräischen Sinne des Namens wirklich seine Fürstin oder Prinzessin. Er würde ihr Andenken immer und ewig mit sich herumtragen. Im Laufe der Jahre wuchs sie in seiner Erinnerung zur Ikone, zur Nymphe im altgriechischen Götterhimmel.
Mit diesen Gedanken hob George den Kopf, um wieder in das Hier und Jetzt zurückzufinden. Nim lag halbnackt und mit geschundenem Körper ruhig auf dem Rücken und beobachtete George interessiert.
Der fragte sich, warum ihm das „Eine“ gar nicht erst in den Sinn kam, obwohl er erst Minuten vorher auf der Treppe beim Anblick von Nims süßem Hintern in ihren engen Jeans an nichts anderes gedacht hatte. Sehr surreal und unwirklich, was da im Augenblick passierte, fand er.
So vorsichtig und zärtlich hatte George noch nie die Haut einer Frau berührt. Er verteilte den gesamten Inhalt der Flasche auf Nims Körper, auch auf dem Rücken, außer an den Stellen, an denen sie ihr Höschen und den BH trug. Als er ihr linkes Schulterblatt berührte, spürte er wieder ein leichtes Vibrieren unter seiner Hand.
Als George das leere Fläschchen abstellte und seine Hand noch einen Augenblick unbewegt auf Nims Bauch ruhen ließ, öffnete sie die Augen, richtete sich halb auf und stützte sich auf ihre Ellenbogen.
„Ich war sicher, du gute Hände. Ich fühle mich… Wie sagt man…? Beschützt. Du dich sehr lieb um mich kümmern.“
George blickte versonnen auf seine Hände hinunter. Sara, seine längst Verflossene, hatte ihm einmal gesagt: „Weißt du, daß du sehr schöne Hände hast?“
Das war einer ihrer Sätze, die er nie vergessen würde.
Nim lächelte wieder zauberhaft und vermittelte den Eindruck, keine oder kaum noch Schmerzen zu haben. George schob das auf die Wirkung der Schmerztablette. Er war immer noch vollständig angezogen. Selbst seine Krawatte hatte er nur leicht am Hals gelockert.
„Du schönen Schlips. Elefanten gut. Rüssel nach oben. Das heißt viel Glück.“
Nun lächelte auch George wieder erleichtert. Er war froh, daß es Nim anscheinend wieder besser ging.
„Ich erzähle dir später, wer mir Schmerzen machen. Zuerst ich dir danken. Zieh dich aus…“
Ende Kapitel 2