Überraschung in Ruanda
Kigali
Das Frühstück ist inklusive, wird in Büfettform angeboten, sodass man sich mit Omelett, Weißbrot, Marmelade, Käse, Wurst und frischem Obst ohne weiteres den Bauch so voll schlagen kann, dass es mindestens bis zum Abend reicht, und es wird auf einer überdachten Terrasse mit herrlichem Blick auf die Stadt eingenommen.
Ich frühstücke mit einem amerikanisch/spanischen Paar, das ich gestern im Bus nach Kigali getroffen habe. Die beiden haben sämtliche Billighotels der Stadt abgeklappert, die alle voll belegt waren und endeten nun auch hier im Okapi. Zusammen gehen wir dann zum ORTPN, dem ruandischen Tourismusbüro, um unsere Bescheinigung für das Gorilla Tracking abzuholen.
Die Überraschung ist groß, als sich herausstellt, dass ich die Spanierin kenne, cyberrmäßig. Wir haben beide im LonelyPlanet-Forum ähnliche Fragen zu Ruanda und Uganda gestellt, uns daraufhin ein paar Mal gemailt und unsere Reisepläne und unsere bisher gewonnenen Erkenntnisse abgeglichen. Nun habe ich auch ein Gesicht zu "Laureta" vor Augen.
Es dauert eine Weile, bis die freundliche Dame im Tourist Office aus dem Stapel der Bankbelege unsere Überweisungen gefunden hat und unser Permit ausstellt. Laura und ihr Lebensgefährte wollen schon morgen zu den Berggorillas und fahren mittags mit dem Bus weiter. Ich habe noch einen Tag mehr Zeit, laufe etwas umher und buche für den Nachmittag eine City Tour vom Tourist Office.
Es ist die gleiche Gegend, in der ich gestern Abend im Finsteren unterwegs war, heute sieht es natürlich ganz anders aus - und ich bin ziemlich überrascht.
Kigali ist mit 600.000 Einwohnern weniger bevölkerungsreich als Nairobi und Kampala, dehnt sich aber auf einer großen Fläche aus und vermittelt eigentlich nicht den Eindruck einer Stadt sondern eher einer Ansammlung von verschiedenen Ortschaften, die teils an den vielen Hügeln kleben und durch Straßen miteinander verbunden sind.
Im Stadtzentrum erinnert außer den schwarzen Menschen wenig an Afrika. Es gibt breite Boulevards, die auf teils in der Mitte hübsch bepflanzte Roundabouts führen.
Der Verkehr fließt reibungslos, es gibt Ampeln und Zebrastreifen und Verkehrsregeln, die beachtet werden. Taxi- und Mopedfahrer rufen überwiegend feste Tarife auf. Es entfällt also das sonst bekannte Feilschen. Sie tragen vorschriftsmäßig Helme und auch ich als Mitfahrer muss einen aufsetzen. Die Polizisten tragen leuchtend gelbe Leibchen, die Telefonkartenverkäufer dunkelgelbe, die Verkäufer am Busbahnhof blaue, alle mit Nummern versehen, wahrscheinlich um eventuelle Reklamationen gezielt vorbringen zu können. Es gibt ein modernes Einkaufszentrum, einige Büro- und Bankenhochhäuser und die Cybercafes bieten schnelle Verbindungen. Der Dreck und Abfall hält sich in Grenzen und vor einiger Zeit sind sogar Plastiktüten in Ruanda verboten worden. Selbst der von weitem chaotisch erscheinende zentrale Busbahnhof ist recht übersichtlich und nach den Richtungen der abgehenden Busse eingeteilt, so dass man sich gut zurechtfinden kann.
Es ist offensichtlich, dass viele Gelder nach Ruanda geflossen sind und dass offensichtlich damit auch durchaus sinnvoll umgegangen wurde. Woran liegt das ? Nun, natürlich ist Ruanda kein Land wie jedes andere, und es ist für jemanden, der einen Bericht über eine Reise dorthin schreibt, wohl an der Zeit, auf diesen Punkt näher einzugehen ...
Einhundert Tage
Ruanda, im Frühjahr 1994
Es spielte sich alles in ziemlich genau 100 Tagen ab, angefangen Anfang April 1994, aber von langer Hand schon viel früher vorbereitet. Das WARUM es geschah vermag ich zu verstehen, ohne es natürlich gutzuheißen, das WIE es geschah in diesen 100 Tagen, nein, das entzieht sich menschlicher Vorstellungskraft.
Abgesehen von der kleinen Gruppe der Twa besteht Ruanda aus den Bevölkerungsstämmen der Hutu und der Tutsi. Die Tutsi sollen früher aus Richtung Äthiopien her eingewandert sein. Sie sind groß, schlank, haben hübsche Gesichter mit schlanken Nasen. Die Hutu, die Mehrheit der Bevölkerung sind kleiner, gedrungener, mit dicken Nasen.
An diesen Äußerlichkeiten orientierten sich die Belgier als koloniale Nachfolger der Deutschen. Sie bevorzugten die Tutsi, wiesen ihnen die besseren Posten in der Verwaltung zu, definierten ihre Zugehörigkeit anhand der Breite der Nasen (!!) und führten das Rassenzugehörigkeitsmerkmal in den Pässen ein. Das schürte den Neid und den Hass der Hutu und führte nach der Unabhängigkeit Ruandas zu ständigen Reibereien und Übergriffen der Hutu, sodass viele Tutsi bereits in die benachbarten Länder flüchteten. Aber irgendwie raufte man sich doch immer wieder zusammen.
Bis dann einigen Herren aus der Führungsriege der Regierung und des Militärs so etwas wie die "Endlösung" der Tutsifrage für Ruanda in den Sinn kam und von da ab alles bis ins Kleinste vorbereitet wurde. Eine besonders fanatische Bewegung mit vorwiegend Jugendlichen, die Interahamwe, wurde gegründet, es wurden Unmengen an Macheten chinesischer Produktion importiert, die man unmöglich alle für landwirtschaftliche Zwecke benötigen würde, die Präfekturen in den Provinzen wurden angewiesen, Listen der dort wohnhaften Tutsi und gemäßigter Hutu anzufertigen. Und es wurde ein Radiosender gegründet, der mit westlicher Musik schnell eine große Hörerschaft fand und später als Hetzsender viele Aktionen gezielt steuerte.
Am 6. April 1994 kehrten die Präsidenten Ruandas und Burundis von einer Friedenskonferenz aus Tansania zurück. Beim Landeanflug auf den Flughafen Kigali wurde die Maschine von bis heute Unbekannten abgeschossen. Das war das Zeichen. Der Hetzsender gab die vereinbarte Parole aus. Innerhalb von Minuten wurden Straßensperren errichtet und jeder, der das Merkmal Tutsi in seinem Pass hatte, wurde umgebracht. Aufgeputschte Hutu gingen von Haus zu Haus, Nachbarn brachten Nachbarn um, Freunde, Jugendliche ihre ehemaligen Spielkameraden und Lehrer, Männer ihre Familienangehörigen, die anderer Rasse waren, zumindest laut Pass.
100 Tage. Man schätzt die Toten mit ca. 1 Million. In 100 Tagen. Macht 10.000 Tote pro Tag. Das Wahnsinnige dabei ist, es kamen keine Panzer, Granaten oder sonstige schwere Waffen zum Einsatz. Es gab keine schweren Gefechte unter Kriegsparteien. Die wenigsten kamen durch Gewehr- oder Pistolenkugeln um, die meisten wurden von Macheten zerhackt, von Keulen, Stöcken oder was sonst an Gegenständen gerade zur Hand war, erschlagen, Frauen häufig vorher vergewaltigt.
Und die Welt schaute weg. Während in 100 Tagen ein Volk fast ausgerottet wurde, lavierte man sich in der UNO mit Worthülsen aus der Verantwortung. Statt Völkermord, was laut UN-Charta zum Eingreifen gezwungen hätte wand man sich um Begriffe wie "Akte von Völkermord", die in Ruanda stattfanden. Nachdem gleich zu Beginn der Gewalt 10 belgische Soldaten der dort stationierten UN-Truppe von den Hutu ermordet wurden, zogen sich die Schutztruppen ganz zurück, alle Ausländer wurden evakuiert und man überließ die Ruander ihrem blutigen Schicksal.
Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, das Morden frühzeitig zu stoppen, denn der Mob war schlecht oder gar nicht ausgebildet. Als sich schließlich die Franzosen entschlossen, Truppen zu senden war es zu spät und sogar kontraproduktiv. Denn sie ermöglichten nur die geordnete Flucht der Hutu-Mörder in den Kongo, in das Gebiet um Goma, wo sie in den großen Flüchtlingslagern untertauchen konnten, nachdem die Tutsi-Rebellentruppen aus Uganda unter dem jetzigen Präsidenten Paul Kagame zügig nach Kigali vorstießen und dem Morden schließlich nach 100 Tagen ein Ende bereiteten.