Die unbeachtete Katastrophe vor Phukets Küste
Mindestens 32 Tote, 23 Vermisste – Trotz Sturmwarnung ausgelaufen.
Sam Gruber aus dem Falang
PHUKET: Die Welt blickt auf die Tragödie in der Tham Luang Höhle der Provinz Chiang Rai in Nordthailand. 13 junge Leben hängen dort am seidenen Faden. Von mindestens 32 toten chinesischen Urlaubern und bisher 23 Vermissten mit wenig Aussicht auf Überlebenschancen spricht man nachrangig. What went wrong? Was lief falsch?, titelt eine der wenigen unabhängigen Tagezeitungen Thailands, die Bangkok Post heute. Die Frage sollte nicht in der Vergangenheitsform gestellt werden. Was läuft hier so tödlich falsch, müsste es korrekterweise heißen.
Dass von Phuket aus in der begonnenen Monsunzeit trotz eindeutiger Sturmwarnungen des Meteorologischen Amtes und ausgesprochener Auslaufverbote für kleinere Schiffe dennoch etwa 20 Kapitäne am Donnerstag, 5. Juli, alle Vorschriften sprichwörtlich in den Wind schlugen und in See stachen, verwundert im Tourismus-orientierten Süden des Landes wenige. Die Eigner sind meist einflussreiche Menschen und an einem mit 93 zahlenden Passagieren besetzten Ausflugsschiff wie der Phönix verdienen sie gutes Geld.
Dass an diesem Donnerstag, am späten Nachmittag kurz vor Einbruch der Dunkelheit, ein schwerer Sturm aufzog und bis zu fünf Meter hohe Wellen auch den erfahrensten Kapitänen ihre Grenzen aufzeigten, musste unweigerlich einmal passieren. Kaum eines dieser Ausflugboote ist auch nur annähernd hochsee- oder sturmtauglich. Wer unter solchen Bedingungen mit klaren Informationen über die Risiken dennoch ausläuft, ist ein Hasardeur und Krimineller – man könnte nach der weiter steigenden Zahl der Opfer auch sagen ein vielfacher Totschläger.
Thailands Polizeikräfte können, wenn sie wollen und dürfen. Es liegt nicht daran, dass hierzulande die von westlichen Auswanderern gerne angeführte Rückständigkeit schuld an solchen Katastrophen wäre. Die Erklärung ist einfach und klingt noch bitterer: In den Marinebehörden, bei der Polizei und Tourist Police, bei der Immigration, bei all diesen Behörden, die unmittelbar mit dem Millionentourismus befasst sind, dort säßen genug fähige Köpfe. Leider gibt es da noch diese obere Etage. In dieser sitzen noch mächtigere und einflussreiche, die mit ihrem Geld bestimmen, welchen Kurs welches Schiff an welchem Tag nimmt. In fast allen Lebenslagen, diese Arme greifen tief hinein in die gesamte Gesellschaft.
Es hat immer Schiffsunglücke gegeben in der Menschheitsgeschichte und es wird sie weiter geben. Der Unterschied zu Phuket und dem aktuellen Fall ist, dass hier gutgläubige Urlauber von maritimen Profis bewusst in eine Situation gefahren worden sind, die am Ende keiner kontrollieren konnte. Wieder einmal sind Untersuchungen angekündigt worden und selbstredend werden die überlebenden Kapitäne zur Rechenschaft gezogen. Ist das die Lösung des wirklichen Problems?
An dieser Stelle wurde schon oft angemahnt, nicht mit der Sicherheit der Touristen zu spielen und schon gar nicht mit deren Leben. Das hat uns Kritik eingetragen, die Aufforderung den Mund zu halten und die Landessitten als Gäste zu respektieren. Gegenthese: Die Todesopfer vor Phukets aufgewühlten Küsten sind fast ausschließlich Chinesen. Man stelle sich vor, das wären Deutsche, Schweizer, Briten oder Franzosen gewesen – was wäre dann in den Medien losgebrochen. Oder einer der unreflektierten Thailandversteher hätte selbst einen Angehörigen bei dieser größten maritimen Katastrophe in der jüngeren Landesgeschichte verloren.
Es scheint nur der große Sack Reis zu bleiben, der nun in China umgefallen ist. Die Welt blickt weiter hinauf Richtung Nordthailand und fiebert mit den armen jungen Fußballern, die seit 14 Tagen fünf Kilometer tief in einer unzugänglichen und überschwemmten Höhle sitzen. Ihnen gehören unser Herz und unsere Aufmerksamkeit und nicht den Toten vor Phuket.
Hilfe brauchen allerdings auch andere. Die Angehörigen der chinesischen Opfer zum Beispiel und am Ende wahrscheinlich Thailands Schifffahrtstourismus. Weitere solche Meldungen werden irgendwann selbst den hartgesottenen und risikobereiten Urlaubern ihre Freude am Urlaub in diesem Land nehmen. Bestraft würden damit alle, auch die, die nicht mit dem Massentourismus und seinen Auswüchsen ihr Geld verdienen und nichts für diese furchtbare, kriminelle Schlamperei können.