Episode 1.8
George beobachte beunruhigt Nim. Sie unterhielt sich schon seit ein paar Minuten mit einem Gast. Fast wollte George Nim zu sich rufen. Sie hatte ihn schließlich dazu aufgefordert, wenn er weitere Fragen hätte. Aber Nim drehte sich um, bückte sich, hob Bierflaschen aus den Kartons und stellte sie in den Kühlschrank. Danach nahm sie das Gespräch mit dem Gast nicht wieder auf.
„Gibt es deine Bar noch?“ fragte George, seine Aufmerksamkeit wieder Wayne gewidmet.
„Nein, schon lange nicht mehr. Dort steht jetzt ein Hotel. Ich habe mich dann neuen Hobbys zugewandt.“
Erstaunt und mit großen Augen hörte George, daß Wayne freiberuflich Bücher verfaßte, in denen er Bangkoks Buslinien in allen Einzelheiten erklärte und insbesondere Khlong-Touren durch das alte Bangkok, wie er es nannte, anpries. Die Bücher seien zwar nicht der Renner, aber ein wenig Taschengeld ließe sich damit und dem einen oder anderen Artikel in Reisemagazinen verdienen.
„Für dich mag das reichlich bescheuert klingen, aber es hilft mir, mit meiner ruhmreichen Vergangenheit abzuschließen“, sagte Wayne augenzwinkernd. „Übers Jahr verteilt bin ich auf diese Art und Weise fast sechs Monate beschäftigt, kundschafte sozusagen hinter feindlichen Touristenlinien neue Buslinien und mir noch unbekannte Khlongs in Bangkok aus, bringe das zu Papier und versuche es, an den Mann zu bringen.“
George hob lachend seine Flasche.
„Prost Kumpel. Paßt schon. Auf diese Art und Weise tourst du nach wie vor hinter den Linien im Feindesland, ha ha.“
„Was meinst du wohl, was ich hier in meiner Stammbar mache. Bin nicht zum Vergnügen hier. Tue nur meine Pflicht“, erwiderte Wayne und stieß grinsend mit George an.
„Stammbar“ ließ George aufhorchen. Vielleicht wußte Wayne näheres über Nim?
Als hätte Wayne dies geahnt, sagte er unvermittelt das Thema wechselnd: „Nettes Mädchen, nicht?“ und deutete feixend auf Nim.
„Ja, sehr nett. Sieht so aus, als ob sie hier was zu sagen hat?“
„Stimmt. Sie ist die jüngere Schwester der Mamasan und hilft dieser faulen Tussi manchmal aus. Nicht jeden Tag übrigens und auch nicht bis Barschluß. Mach dir bloß keine Hoffnungen“, ergänzte Wayne freiwillig. „Die geht nicht mit Kunden weg.“
Das war mehr, als George zu hoffen wagte. Er hatte sich vorgenommen, sie beim kleinsten Anzeichen einer Anbandelung zwischen Nim und einem Gast, zu „rufen“ und ihr die nächste Frage zu stellen, nämlich: “Möchtest du mit mir mitkommen?“
Bisher hatte er noch keinen Grund dazu gehabt, obwohl er sich in ein paar Situationen, als Nim mehr als zwei Sätze mit einem Gast wechselte, nicht ganz sicher war. George war sozusagen immer auf dem Sprung. Das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Er glaubte festzustellen, daß Nim sehr oft ihren Kopf so hielt, daß sie George zumindest im Blickwinkel hatte. Das kannte er von seiner Frau, wenn die sauer war. Dann sah sie ihn über längere Zeit nicht direkt an, hatte ihn aber trotzdem immer im Auge.
„Scheint ein anständiges Mädchen zu sein“, rutschte es George heraus, und er bereute seine Bemerkung sofort.
So redeten nur Liebeskasper, die sich einbildeten, auf die einzige Jungfrau in Pattaya gestoßen zu sein. Eigentlich wollte er nur sagen, daß Nim ein äußerst attraktives Weib war.
„Träum weiter, Kumpel. Die ist Freelancerin. Sozusagen eine Kollegin von mir, ha ha. Sie sucht sich grundsätzlich ihre Männer selbst aus. Genauso wie ich meine Studienprojekte, Busse und Khlongs in Bangkok. Manchmal betreut sie auch Farang-Frauen. Die zahlen besonders gut.“
George kam sich ziemlich belehrt vor. Falls dieser Wayne dachte, er hätte ihn mit seiner Aufklärung vor irgendeiner Illusion bewahrt, täuschte der sich gewaltig.
George war sich bewußt, wo er saß und welchem Beruf die Mädchen nachgingen. Für ihn bedeuteten Waynes Worte höchstens eine interessante Herausforderung.
George wartete, bis Nim ihn im Blickfeld hatte und hielt seine Bierflasche hoch. Obwohl einige Bargirls sofort aufsprangen und auf George zugingen, bemerkte Nim seine Geste wie erwartet, nickte nur, griff in den Kühlschrank und servierte lächelnd und wortlos ein kühles Chang, nicht ohne die Theke vor George vorher abgewischt zu haben. Es war erst das dritte Bier innerhalb von zwei Stunden. George war kein großer Trinker. Außerdem hatte er sein Auto einige Nebenstraßen weiter geparkt. Er wollte auf jeden Fall damit nach Hause fahren.
Nim blieb noch einen Augenblick stehen, ihren Kopf leicht schräg gestellt, als wartete sie auf etwas. George bekam eine Gänsehaut. Diese Geste. Den Kopf zur Seite geneigt. Stumm blickend. Woran erinnerte ihn das? George fühlte Nims Nähe körperlich, obwohl sie durch die Theke von ihm physisch getrennt war.
„Möchtest du bei Gelegenheit neben mir noch ein nam däng trinken?“
Wayne, mit seinem Bier an den Lippen, bekam einen Hustenanfall und knallte die Flasche auf die Theke, damit er sich nach Herzenslust schütteln konnte.
Ruhig und ohne Wayne Beachtung zu schenken, stimmte Nim zu. „Zehn Minuten. Muß Schwester helfen.“
Georges Herz begann zu pochen. Nim sprach leise zur Mamasan. Die schaute kurz in Richtung George, verriet aber mit keiner Miene, was in ihr vorging.