zum Thema hier mal die Sichtweise von
Sam Gruber ( Falang )
Schattenseite einer Rettung als Spiegel der Welt
Weltweite Anteilnahme überschritt Grenzen – Ungebremste Jagd aufs Motiv
Von: Sam Gruber | 10.07.18
Das ist meine Zweitmeinung zu dem unfassbaren Auflauf vor der Tham Luang Höhle in Nordthailand und den Auswirkungen vor der Höhle und nicht innen drin. Nicht jeder wird meine Auffassung teilen, aber doch musste ich feststellen, dass manche Tragödien die Menschheit einen - und andere sie komplett kalt lassen. Ein Phänomen der Neu(un)zeit.
CHIANG RAI: Eine Höhle in Nordthailand beherrscht die Weltnachrichten. Das Tham-Luang-Massiv mit einer für Thailand beispiellosen – bislang glücklich verlaufenen Rettungsmission – hat eine Lawine des Mitgefühls losgetreten. Von Sibirien bis Kapstadt, von Singapur bis Los Angeles, von Rio de Janeiro bis Sizilien laufen Live-Bilder auf allen Fernsehkanälen. Und vor der Höhle, aus der nach 17 Tagen elf von 13 jungen Fußballern gerettet werden konnten, spielen sich abenteuerliche Szenen ab.
Die Jagd nach der aktuellsten Nachricht, nach einem Foto der Geretteten, nach irgendeiner prickelnden Information, die Zuhause den Exklusivitäts-Wahnsinn bedient, all das hat sich neben der Anteilnahme Bahn gebrochen. Ein thailändischer TV-Sender ließ eine Drohne steigen, um schneller zu sein als die Kollegen. Andere hörten den Funk der Rettungsmannschaften ab und störten deren Sendefrequenz.
Neue Dimensionen der Live-Berichterstattung erreicht
Die Rüge folgte auf den Fuß und Thailands Presse-Verbände schlossen sich an. Sie mahnten zur Rückbesinnung auf ethische Werte und davor, mit rücksichtslosen Aktionen eine ohnehin schwierige Bergung mit Lebensgefahr-Potenzial zu torpedieren. Wer in flagranti erwischt wird, muss mit einer Anklage vor einem thailändischen Gericht rechnen. Irgendwann, sagte der leitende General des Polizeihauptquartiers der Region 5, Churat Chang-nao, höre das Verständnis auf.
Sind die Medien mit ihren Auswüchsen bei der Jagd nach der Sensation neuerlich die schwarzen Schafe inmitten eines Heeres von Rettungsrittern? Das ist schwer zu beantworten, denn ohne Zweifel sind bei diesem sensationellsten Höhlendrama der Neuzeit Dimensionen erreicht, ja durchbrochen worden, die keiner so hat vorhersehen können.
Selbst als bürokratisch bekritelte öffentliche Fernsehanstalten aus Deutschland haben eigene Korrespondenten und Kamerateams nach Nordthailand entsandt. Im amerikanischen CNN laufen Live-Reportagen, bei der britischen BBC, auf Al Jazeera in Qatar, die Schweizer berichten auf allen Kanälen und die Österreicher stehen nicht nach. Die ganze Welt bangt vor dem Tham Luang Gebirge und die kleinste Meldung wird herausgetragen wie ein eigenes Bergungsobjekt aus der überschwemmten Höhle.
Eingeschlossene Kinder und ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer
Niemanden in den sozialen Netzwerken hat diese spannend realistische Mammutaufgabe kalt gelassen. Facebook, Twitter, Instagram – wenn es seit 14 Tagen ein Thema auf dieser Welt gibt, das alle erfasst hat wie ein medialer Tsunami, dann ist es die spektakuläre Rettung der 12 thailändischen Kinder und ihres Trainers vom Wildboar-Team.
Die Frontfrau der Linken in Deutschland, Sahra Wagenknecht, hat dieses Phänomen schlau für ein Tweet genutzt: „Die ganze Welt fiebert mit der Rettung der Jugendlichen in Thailand – auf dem Mittelmeer ertrinken Tausende und die Welt schaut weg.“ In Windeseile ist ihre bewusst gesetzte Provokation tausendfach geteilt worden, von so benannten Gutmenschen. Echotisch haben die Gegner der Fraktion „Das Pack“ wütend zurückgekeilt. Eigentlich polemisierte die Politikerin Wagenknecht eine unbequem klingende Wahrheit, die von vielen nicht als solche wahrgenommen werden will.
Weshalb trifft das Schicksal von 13 jungen Menschen in Thailand mitten hinein ins gute Herz und setzt die bekannten Wutmechanismen im Worldwide Web vorübergehend außer Kraft? AFD-Sympathisanten fiebern Schulter an Schulter mit linken und bürgerlich-liberalen Menschen. Sie alle vereint urplötzlich eines: die Hoffnung auf die Rettung der eingeschlossenen Jugendlichen und unterbewusst eine menschliche Regung, die stärker sein kann als manche Vorurteile.Mitgefühl.
Hunderte von Millionen Menschen fiebern seit 14 Tagen mit Thailand
Das Publikum der unvollendeten Tham Luang-Geschichte ist wie eine Welle der Eigendynamik. Hunderte von Millionen Menschen sind aktive Konsumenten. In Thailand haben Abertausende während der Übertragung eines Fußballländerspieles des Achtelfinales ihre Häuser verlassen und sind jubelnd auf die Straße gelaufen, als der erste britische Taucher die eingeschlossene Gruppe entdeckt hatte. Nicht einmal die im Königreich unschlagbare Ziehung der Lottozahlen hat jemals eine solche Euphorie ausgelöst wie das Höhlendrama von Tham Luang.
Die Medien vor Ort sind die Speerspitze der Neugierde. Sie sind nicht allein auf ihrer Jagd nach dem goldenen Kalb. FIFA-Präsident Gianni Infantino hatte vergangene Woche, noch vor Beginn der Bergungsaktion, alle in der Höhle gefangenen Fußballer zum WM Finalspiel nach Russland eingeladen. Andere waren etwas bescheidener und wollten einem der armen Jungs ein neues Fahrrad spendieren. Die Gutwilligkeit, oder wie es heute hässlich heißt, das Gutmenschentum, war nicht zu bändigen und jeder wollte seinen Teil beitragen.
Rückkehr ins normale Leben wird nicht nur für die Opfer schwer
Versöhnlich stimmt trotz eines aufkeimenden Ungutgefühls, dass die Mehrheit der Welt glaubwürdig um die Kinder aus Nordthailand bangt und ihnen die Rückkehr in ihr junges Leben wünscht. Psychologen werden sagen, das sei stellvertretend für den eigenen Wunsch, eine Zeit der Krisen und des Missmutes hinter sich zu lassen. Das klingt schlicht, aber entbehrt nicht einer gewissen Grundlage.
Muss man sich nun ängstlich fragen, was passiert, wenn diese Mission der Wagemutigkeit erfolgreich gelöst ist und glimpflich ausgegangen? Wer rettet dann uns und die Welt, wenn wir aus diesem spannenden Sommertraum aufwachen und das normale Leben in den Medienalltag zurückkehrt. Der Brexit, das Flüchtlingsthema, Frau Merkel und Herr Seehofer, Donald Trump, Strafzölle als Drohszenario für die Weltwirtschaft, Freund und Feind auf Facebook und Twitter.
Es soll nicht sarkastisch klingen, aber irgendwie war es draußen vor der Höhle aufregender und schöner als im normalen Leben. Drinnen, das Gute in uns mit der Welle der Anteilnahme und Empathie, das lässt sich vermutlich nicht lange konservieren.