Episode XV, Mamas Reise
Mamas Zeit ist mal wieder abgelaufen. Ihre Reisevorbereitungen sind etwas umfangreicher, als gewöhnlich. Sie sagt mir, ich solle ihr ein Rundreise-Ticket besorgen.
Wien – Bangkok – Chiang Mai – Bangkok – Wien
Sie hätte einige Besichtigungen und Besorgungen hoch im Norden zu erledigen. Ob ich ihr ein paar mehr Dollars geben könne.
„Wie viel mehr brauchst du?“
„Up to you“
Mist mann! Seitdem sie die präzise genannten 400K eingesackt hat, verfällt sie wieder ins Ungenaue.
„OK, hier sind 300 Dollar, reicht das?“
Ich höre ihren kleinen Taschenrechner in ihrem Hirn ticken, sie nickt kurz und nimmt kommentarlos das Geld. Der Ticket-Preis ist der gleiche. Bei diesen Entfernungen sind solch kleine Abstecher umsonst.
Die 3SAT Dokumentation über die Bergstämme im Norden Thailands, kürzlich im TV, scheint sie mächtig beeindruckt zu haben. So gebe ich ihr gerne dieses Zusatztaschengeld für ihre Bildungsreise. Auch Thais lernen über ihre eigene Kultur nie aus.
Über die Zeit ohne Mama gibt es kaum was zu berichten, außer dass meine Holde jetzt meistens zu Hause bleibt. Bei bestimmten Nummern auf ihrem Handy-Display schaltet sie die Anrufe einfach weg um die Batterie zu schonen. Schließlich hört diese vergebliche Klingelton-Dudelei ganz auf.
Unsere Tagesschau-Abende bekamen einen wirklich privaten Charakter und wir freuten uns Sonntags besonders auf die Wochenrückschau, die ja viel länger dauert und uns deswegen zu mehreren Höhepunkten verhalf. Na ja, ich will ehrlich bleiben, eigentlich mehr bei ihr. Bei mir war das ohne Mama so’ne Sache. Bei der ein oder anderen globalen Katastrophe oder Kriegsnachricht im Rückblick erinnerten wir uns freudestrahlend an die ein oder andere besonders gelungene Nummer Wochentags und jedes mal, wenn Merkel auftauchte, ging meine Mia ab wie die Feuerwehr.
Drei Monate später holen wir unsere geliebte Mama vom Flughafen ab. Sie sieht unverschämt gut aus und wirkt irgendwie noch erwachsener und weiblich reifer. Nein, ihre Blüte ist noch lange nicht verwelkt. Im Gegenteil, sie erneuert sich immer wieder auf wunderbare Weise. Strahlend und voll bepackt schreitet sie wie auf einem Laufsteg durch die automatische Schiebetüre in der Ankunftshalle. Nach unserer dezenten Begrüßung, was geht die anderen schon an, wie glücklich wir sind, sagt Mama:
„Visum lief alles wie geschmiert.“
Dabei öffnet sich ihre Handtasche versehentlich und die Oil of Olaz Krem-Dose purzelt heraus. Wie habe ich diese vermisst.
Sie hat ein Jahresvisum im Pass. Das letzte mögliche, bevor mein Kamerad Fischer wieder ein liebes EU Wort für Austria einlegte. Chirac schmollte zwar noch den Haidar an, aber lenkte dann doch ein. So nahm das Schengen-Geraffel auch für Austria seinen sozialistisch bürokratischen Gang. Der Fischer ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Ehe mich der Schmerz übermannt, erinnere ich mich an eine der wichtigsten Buddhistischen Weisheiten. Alles ist vergänglich, nichts ist beständig. Klammer dich nicht zu sehr an irgendwas, denn der Verlust ist leidvoll. So löse ich also meine Rest-Klammerung an Fischer aus den 60zigern und mir geht es schon wieder besser.
Mein Bekannter in der Austria Botschaft hatte mich telefonisch vorgewarnt. Ob ich damit einverstanden wäre, dass meine Schwiegermutter für ein Jahr bleiben könne. Er müsste sie allerdings zu diesem Zweck ganz persönlich zweimal gründlich durchchecken, und ein drittes mal zur Sicherheit, wg. Verifizierung der ersten beiden male.
Ich liebe die Gründlichkeit in dieser Alpen-Republik und willigte ein. Um ehrlich zu sein, ich freute mich darüber, auch für Mama und meinen Bekannten, der mal wieder so richtig zeigen durfte, wie professionell er im Botschaftsdienst ist.
In Vorfreude begleite ich meine vollständige Familie zum Taxi-Stand. Der Taxi-Fahrer begrüßt meine „Mia“ für mich völlig unverständlich wie eine alte Freundin, aber die weiß, was sich geziemt und bleibt damenhaft unnahbar. Habe ich mich etwa in ihr getäuscht? Waren meine Zweifel an ihr nichts anderes als ein Ausdruck meines gestörten Macho-Gehabes? Scheint so, denn so leicht lässt sie sich offensichtlich nicht von Fremden anmachen.
Unterwegs erzählt uns der Taxifahrer, dass das Geschäft viel härter geworden sei. Sehr oft führe er nachts noch eine zweite Schicht, besonders von einer einschlägigen Thai-Lokalität zur anderen und dann ab drei, vier Uhr morgens die Fuhren nach dem zu Hause seiner Gäste. Es würde ihn aber manchmal leicht verwirren. Jedes mal, wenn er glaube zu wissen, wo die Lütte wohnt, geht’s am nächsten Wochenende schon wieder woanders hin.
In unserem Hochhaus im 10. Stockwerk angekommen, beschert uns Mama eine Überraschung nach der anderen.
Geht es euch auch manchmal so? Nämlich dass ihr im Rückblick zu eurem nicht existierenden Selbst sagt:
„Wenn ich hier eingegriffen hätte, hier und jetzt, genau in diesem Moment gehandelt hätte, z.B. meine Zustimmung verweigert, gar ein Verbot ausgesprochen, oder ein paar Dinge einfach aus dem Fenster geworfen hätte, dann wäre das ganze zukünftige Leben anders verlaufen.“
Dies ist solch ein historischer Moment, den es eigentlich sonst nur in den Königshäusern gibt.
Mama packt freudestrahlend sieben Garnituren Akha –Kluft aus. Damit sie was zum Wechseln hat. Jede Menge Tüten mit Samen von wunderbaren Blumen, die mich entfernt an unsere Mohnblumen erinnern. Dazu welche für Sträucher, die ich nicht recht identifizieren kann. Drei gut verlötete Akha-Pfeifen und zwei niedliche Sicheln sind auch noch dabei.
Für mich packt sie grünen Tee aus, der Testeron senkend sein soll. Oder heißt es Cholesterin? Seit dem Schweine-Hormon-Skandal bringe ich das immer wieder durcheinander. Für ihr Töchterchen hat sie ein paar dieser sonderbaren Isaan-Blusen mitgebracht, die mit den großen Kragen und Rüschen am Saum, dazu ein langer weiter Rock. Oh Mann, wie ich diese Dinger verabscheue, da sie mich an die Tracht meiner Oberschlesischen Großmutter erinnern, die auf der Flucht vor Napoleon (oder war es der quadratische Schnauzbart?) so sehr leiden musste, und ich beginne dann immer wieder selber zu leiden. Ja ich weiß, ich muss noch etwas mehr an meiner Gelassenheit arbeiten.
Mit all den verschiedenen getrockneten Lebensmitteln möchte ich euch nicht langweilen. Und wie immer ist Mama nach solch langer Reise nicht müde. Das habe ich schon früher beobachtet. Bei Thais heißt „Ankommen“ sofortige Aktion, egal wie lang die Reise war. Nichts von erst mal ausruhen oder anderem faulen Zauber. Scheint auch ein Teil der Kultur zu sein.
Mama geistert durch die Bude und sucht etwas. Schließlich taucht sie mit dem Otto Katalog unterm Arm wieder auf. Der lag auf der Toilette, weil ich dort immer gerne die Herrenspielwarenabteilung mit der sexy Damenunterwäsche begutachte.
Mama sucht und sucht und findet. Sie zeigt mit ihrem Finger auf den Chemie-Baukasten für 14jährige. Den solle ich schon mal bestellen, denn sie braucht so was später. Ich bin beeindruckt. In ihrem Alter interessiert sie sich noch für Naturwissenschaften. Man darf halt die an staubigen Sandwegen Geborenen nicht unterschätzen, besonders wenn sie mit unserer westlichen Kultur in Berührung kommen. Dann wachsen sie über sich selber hinaus.
Es kommt noch hinzu, dass sie hier in der Fremde mit allen möglichen Landsleuten aus allen möglichen Provinzen ihrer Heimat in Berührung kommen, was ihnen in der Heimat nie passieren würde. Da herrscht dann ein angeregter Kulturaustausch auf allen Ebenen. Z.B auf dem Fußboden. Und bei allen möglichen geschlechtlichen Tätigkeiten auf den Möbeln in der Wohnung, auf den Tischen eines Thai-Restaurants nach 2Uhr morgens, wenn nur noch der harte innere Kern da ist oder auf der Theke einer Thai-Nachtbar . Da können sich die Hamburger und Münchner mal einen Faden von Abschneiden und den Thais nacheifern. Ja, auch wir können von der nächtlichen Thai-Kultur was lernen. Und was es da alles zu lernen gibt!
Gerade beginnt die Tagesschau. Endlich wieder im vollständigen Kreise...