Am Abend ging Chris in die Bar, wo er Bernie traf. Der hatte zwar nicht seine Einzige, statt dessen jedoch ein blaues Auge und ein zerkratztes Gesicht mitgebracht. Seine Freundin war nach vier Uhr morgens gekommen und sehr böse, daß er nicht im Hotel war. Als er erklärte, daß er nicht gehen konnte, weil sie sein Portemonnaie hatte und er nicht bezahlen konnte, sagte sie, daß sie ihm das Portemonnaie zurückgegeben hat und daß er das nur vergessen hat, weil er wieder betrunken gewesen war. Im Hotel ist der Streit dann eskaliert, worunter Bernies Gesicht und die Zimmereinrichtung zu leiden hatten. Aber dann haben sie sich wieder versöhnt. Im Bett. Und es gibt tatsächlich Leute, die behaupten, daß man daran die wahre Liebe erkennt.
Chris hatte auf die Ausführungen nicht reagiert. Auf die Versöhnung im Bett sagte er nur: „Ich kann Eure Liebe nicht verstehen.“ Nun versuchte Bernie, ihn zu überzeugen: „Das kannst Du nicht verstehen, weil Du keine Gemeinsamkeit kennst. Du wechselst die Frauen, wie es Dir gerade paßt. Du denkst gar nicht ans Heiraten, an eine Verbindung auf Lebenszeit. Du benutzt die Frauen nur zum Sex, Du benutzt sie wie ein Möbelstück, aber Du kennst keine wahre Liebe. Du kennst nicht die Gemeinsamkeit, die man mit einer Frau hat, das Gefühl, das über alle kleinen Auseinandersetzungen und Probleme hinweg miteinander fürs ganze Leben verbindet und uns unzertrennlich macht.“
„Schön,“ meinte Chris, der normalerweise nicht viel spricht, aber eine Aversion wegen Vorwürfe und inhaltsloses Geschwafel hat, „dann klär’ mich auf. Welche Gemeinsamkeiten habt ihr denn? Ein gehobenes Kunstgefühl, vielleicht beim Hören derselben Musik, bei Filmen oder Fernsehsendungen, die ihr gemeinsam seht und über die ihr diskutiert? Dieselbe Anschauung bei Literatur, Gesellschaftsproblemen oder Eurem Lebensziel? Denselben Geschmack bei der Hausdekoration oder beim Essen?“ Als Bernie nicht antwortete, fuhr er fort: „Du belügst Dich doch selbst. Ihr könnt mit Euch nichts anfangen und ihr könnt nicht alleine sein, deshalb nennst Du es Gemeinsamkeit, wenn Ihr Euch streitet und die Schädel einschlagt. Du liebst sie nicht, Du liebst nur, daß sie Dich liebt. Deshalb willst Du sie zwingen, in Deiner Nähe zu sein, sich um Dich zu kümmern, weil Du mit Dir nicht alleine fertig wirst. Wie ein Kleinkind, dem man den Fernsehapparat ausschaltet. Du willst sie nicht heiraten, weil Du sie liebst, sondern weil Du sie besitzen willst, weil Du Angst hast, daß sie Dir wegläuft und Dich alleine läßt. Ihr redet von Liebe, aber in Wirklichkeit kämpft Ihr gegen-einander, weil ihr jemand braucht, der sich mit Euch beschäftigt, um vor Eurer Einsamkeit und Euren Problemen zu fliehen. Ihr streitet Euch, um Euch zu beweisen, daß sich jemand für Euch interessiert. Ihr habt Krach miteinander, so wie andere Leute laute Musik aufdrehen, um an nichts denken zu müssen. Die einzige Gemeinsamkeit habt Ihr vielleicht im Bett. Und die hab’ ich auch, aber ohne Streit und ohne Zwang. Ich zwinge meine Freundinnen zu nichts. Ich akzeptiere sie so, wie sie sind. Sie können anziehen, essen und machen, was sie wollen, sie können weggehen, Freundinnen oder Parties besuchen. Und ich kann auch machen, was ich will. Und wenn Du meinst, daß ich sie wie Möbel behandele, dann muß ich Dir sagen, daß ich meine Möbel aber auch pflege und nicht zusammenschlage.
Ich geh’ gerne mit Frauen ins Bett, weil mir das Spaß macht. Aber ich dreh’ nicht durch, wenn keine Frau da ist oder wenn eine bestimmte Frau nicht kommt. Ich tu dann irgend etwas anderes, aber ich fange nicht an, zu schreien, wie ein Kleinkind, dem die Mutter weggelaufen ist. Ich schluchze auch nicht: „Oh, Laila, verlaß’ mich nicht!“ Wenn eine Frau nicht bei mir sein will, weil sie sich nicht wohlfühlt, dann soll sie halt gehen. Ich kann doch nicht eine Frau zu irgendetwas zwingen und dann auch noch frech behaupten, das tu ich, weil ich sie liebe.“ Nachdem Bernie weiterhin still blieb, meine Chris: „Mir ist aufgefallen, daß die Leute, die hier in Pattaya von Liebe reden, nur schwafeln, sich selbst leidtun, mit sich nicht fertig werden und Hilfe suchen. Es ist nicht so, daß sie einen Menschen lieben, vielmehr wollen sie von einem Menschen geliebt werden.“
Chris war das Thema leid, so war es gut, daß seine Freundin kam. Sie wechselten ein paar Worte, sie erzählte, was sie am Tag gemacht hatte und bald danach wechselte er mit ihr die Bar, um sich zu vergnügen. Sie hatten beide noch keinen Hunger und vereinbarten, vielleicht nach der nächsten Bar gemeinsam essen zu gehen.
Wenige Tage später traf Chris erneut unerwartet Bernie, der völlig aufgelöst an der Bar saß: „Sie ist weg. Mit meiner Brieftasche und meiner Uhr. Was soll ich nur machen?“ Chris wollte wissen, ob seine Papiere oder viel Geld in der Brieftasche gewesen waren, doch Bernie meinte: „Nein, die sind im Safe. In der Brieftasche hatte ich so um die viertausend Baht und zwei Kreditkarten.“ Darauf zeigte Chris auf die Mädchen: „Such’ Dir eine hübschere, die nicht klaut.“ Doch Bernie schluchzte: „Aber ich liebe sie doch!“ Und Chris meinte recht gleichmütig: „Na gut, dann tu das, wenn’s Dir hilft.“
Aber Bernie war es wichtig, daß sich jemand mit ihm beschäftigte. Deshalb klagte er jetzt: „Aber ich muß doch etwas tun, daß mir das nicht wieder passiert.“ Doch Chris blieb hart: „Ja, such’ Dir eine andere Frau. Wenn Du diese Frau lieben würdest, dann würdest Du Dir mehr Sorgen machen, wie es der Frau geht und nicht, wie es Deiner Brieftasche und Deiner Uhr geht. Wenn Du willst, daß Dir das nicht wieder passiert, dann gibt’s nur zwei Möglichkeiten: Entweder Du hörst auf, Dir vorzumachen, daß Du die nächste Frau auch wieder liebst, oder Du läßt Dich für den Fall versichern, daß die Frau, die Dich liebt, mit Deiner Brieftasche verschwindet. Und zwar darauf, daß die Brieftasche zurückkommt und die Frau wegbleibt. Übrigens, was hältst Du davon, wenn Du Dich einmal mit Dir selbst beschäftigst und Dich fragst, was Du überhaupt willst und warum Du unbedingt eine ganz bestimmte Frau haben willst?“
„Du verstehst mich nicht. Ich will doch nur, daß meine Frau zurückkommt, weil ich sie doch so liebe.“ Chris verlor die Geduld und meinte: „Du verstehst mich ja auch nicht. Ich hab’ nicht gesagt, Du sollst Dich mit mir beschäftigen. Ich hab’ gesagt, Du sollst Dich mit Dir beschäftigen. Außerdem ist Wollen eine Aktivität. Du willst nicht, daß Deine Frau wiederkommt, sonst würdest Du etwas daran tun. Du sitzt nur da und wartest, daß sie wiederkommt, weil Du willst, daß sie Dir damit beweist, daß Dich liebt und Dir deswegen hinterherläuft. Wenn keine Wolke am Himmel ist, dann kannst Du hoffen oder warten, daß es regnet. Wenn Du willst, daß es regnet, mußt Du etwas unternehmen. Du kannst dann einen Regentanz aufführen oder Dir überlegen, wozu Du das Regenwasser brauchst und etwas tun, um Dir das Wasser zu beschaffen. Wenn Du nur an der Bar sitzt und sagst, Du willst, daß Deine Frau zurückkommt, ähnelst Du einem trotzigen Kleinkind, das mit dem Fuß auf den Boden stampft und schreit: „Ich will aber, daß meine Mutti mich liebt!“ Du solltest wissen, daß das nicht hilft.
Da Chris nicht länger vorhatte, sich Bernies Herz zu zerbrechen, nahm er einen Ortswechsel vor und vernügte sich mit einem hübschen Barmädchen, das ihm viel vernünftiger schien, als Bernie. Sie vergnügten sich miteinander und genossen die Zeit, statt sich darüber zu streiten, daß sie doch wollten, daß der Andere sie liebt.
Doch die Gemeinsamkeit von Bernie und seiner Partnerin besteht nicht nur darin, daß er mit ihr ins Bett will und sie sein Geld haben will. Außerdem können sie nicht allein sein und kämpfen darum, daß der Andere sie will. Selbstverständlich kam Bernies Frau zurück, denn sie hatte die Brieftasche und die Uhr nur mitgenommen, weil sie wollte, daß Bernie sie sucht und ihr hinterherläuft. Da Bernie aber vorzog, sie an seinem Stammplatz zu suchen, kam sie schließlich zu ihm, machte ihm bittere Vorwürfe über sein Verhalten und daß er sie nicht gesucht hatte. Er machte ihr bittere Vorwürfe, weil sie die Sachen gestohlen hatte. Sie sagte, die hatte sie nur mitgenommen, weil sie das Gefühl hat, daß er sie nicht mehr will, vergaß zwar zu sagen, daß sie den größten Teil des Geldes inzwischen für dringende Ausgaben, wie beispiels-weise den Kauf von Armreifen und einem Goldkettchen gebraucht hat, weil die Gelegenheit gerade so günstig war und sie sich für den Liebesverlust entschädigen mußte, gab ihm aber seine Sachen zurück, bestätigte, wie sehr sie ihn liebt, worauf er ihr verzieh. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie aufstanden und in sein Hotel gingen, weil sie sich dringend versöhnen mußten, was ihnen an der Bar nicht möglich war.
Es war nur wenige Tage später, als Chris mit einem hübschen Mädchen in einem kleinen Restaurant saß. Sie hatten schon gegessen, weil sie sich aber bedingt durch Sprachprobleme nicht so gut miteinander unterhalten konnten, war Chris auf den Gedanken gekommen, aus den bereitgestellten Zahnstochern ein dem Mikado ähnliches Spiel zu konstruieren, das ihnen viel Spaß bereitete. Mitten in dieses Vergnügen platzte streitend und keifend ein Paar, das sich in die Nähe setzte. Nach längerem Streit entdeckte Bernie, daß Chris im Raum war, begrüßte ihn gehetzt, sagte, er würde gerade seine Abreise vorbereiten, aber er hätte unbedingt noch einige Probleme mit seiner Frau zu klären und bat ihn dringend, ihm zu sagen, ob er wirklich gesehen hat, daß seine Frau ihm sein Portemonnaie zurückgegeben hat.
Doch Chris war das Spiel leid und erklärte: „Ich freue mich, daß Ihr glücklich seid und so gut miteinander auskommt. Es ist Eure schönste Beschäftigung, miteinander zu streiten, weil ihr dann beide erlebt, daß jemand an Euch Interesse hat. Aber nachdem ihr jetzt schon glücklich seid, ist es nicht erforderlich, uns in Euer Spiel mit einzubeziehen und auch noch glücklich zu machen. Ich sitze hier mit meinem Mädchen. Wir unterhalten uns prächtig, uns geht es gut, wir haben eine schöne Stimmung. Wir lieben uns nicht, wir kommen hervorragend miteinander aus und wir sind lustig. Wenn Du mir jetzt nicht sagst, was Euer Verhältnis mit Liebe zu tun haben soll, dann steige ich aus dem Spiel aus und sage Dir nicht, ob ich das Portemonnaie gesehen habe.“
„Was willst Du wissen, warum wir uns lieben?“, fragte Bernie erstaunt und Chris bestätigte: „Ja, oder das.“ Bernie schnappte nach Luft, dann stieß er aus: „Ja, aber wir lieben uns wirklich!“ Chris verzog keinen Muskel, als er fragte: „Also, Ihr liebt Euch, weil Ihr Euch liebt, richtig?“ Bernie nickte verständnislos, als er noch einmal beteuerte: „Ja, wir lieben uns!“ Darauf meinte Chris: „Schön, und das Portemonnaie ist ein Portemonnaie, weil’s ein Portemonnaie ist.“ Und dann fügte er hinzu: „Ihr liebt Euch und seid miteinander beschäftigt. Das ist schön. Wir lieben uns nicht und sind auch miteinander beschäftigt. Und wir haben gar keine Lust, uns jetzt mit Euch zu beschäftigen, weil ihr Euch liebt. Könnt Ihr Euch jetzt bitte weiterstreiten, dann können wir unseren gemütlichen Abend weiter genießen.“ Damit wandte er sich wieder seinem Mädchen und dem Zahnstocher-Mikado zu und hörte einfach nicht, was Bernie noch sagte.
Es dauerte nicht lange, bis ein Liebespärchen das Restaurant verließ und laut schimpfend und schreiend und sich boxend und schlagend über die Straße ging. Nicht lange danach verließ ein anderes Pärchen das Restaurant und schlenderte gemütlich Arm in Arm nach Hause. Aber das war ja auch kein Liebespärchen.
Gruß gad